Interview mit Daniel Reiberg, Experte für Künstliche Intelligenz in der Radiologie

Künstliche Intelligenz hält Einzug in die Radiologie – mit großen Versprechen, aber auch vielen Fragen. Daniel Reiberg, neuer Prokurist im Curagita-Team, verantwortlich für KI, erklärt im Interview, wo KI heute schon überzeugt, welche Hürden noch bestehen und wie Radiolog:innen den Einstieg finden.
In welchen Bereichen können KI-Anwendungen in der Radiologie Stand heute viel leisten?
D. Reiberg: Besonders wirkungsvoll ist KI aktuell bei der Bildgenerierung – etwa zur Verbesserung von Scans direkt am Gerät. Dadurch lassen sich sogar ältere Scanner länger effizient nutzen. Auch bei der Bildinterpretation, wie der Hirnvolumetrie oder der Wirbelsäulenauswertung, zeigt KI ihre Stärken: Sie liefert schneller und standardisierter präzise Messergebnisse. Im Bereich des Reportings sind Sprachmodelle im Kommen, etwa zur strukturierten Berichterstattung.
Wer initiierte die Idee, innerhalb von Curagita eine Expertise im Bereich KI zu etablieren?
D. Reiberg: Die Initiative ging von unserem Geschäftsführer Johannes Schmidt-Tophoff aus, der die Vision einer weitgehend automatisierten Radiologie im Szenario Radiologie 2030 bereits formuliert hat und aktiv forciert. Ziel ist es, diese Expertise im Unternehmen aufzubauen und Synergien zu erzeugen.
Wie unterstützt ihr Radiolog:innen dabei, ein effizientes und kuratiertes KI-Portfolio zusammenzustellen?
D. Reiberg: Wir analysieren den Markt fortlaufend, bewerten Applikationen nach einem transparenten Schema und achten besonders auf die Integration in bestehende Workflows sowie die klinische Validierung. Mit unserem Zugriff auf die Datenbasis und auf die Feedbacks aus der Netzradiologie lassen wir empirische Daten und technische Kriterien in die Beratungsleistung mit ein. Ganz praktische Fragen seitens der Radiolog:innen wie „Wie viel schneller macht mich das?“ wollen wir realistisch beantworten können. Und wir bewerten, ob die Ergebnisse der KI als strukturierte Daten verfügbar sind und von welchem System diese verarbeitbar sind. Da bewegen wir uns in Richtung Praxis-IT.
Was sind die häufigsten Herausforderungen bei der Zusammenstellung eines geeigneten KI-Portfolios für Kliniken und niedergelassene Radiolog:innen?
D. Reiberg: Die Anforderungen unterscheiden sich deutlich. Kliniken investieren oft forschungsgetrieben, unterstützt durch Fördermaßnahmen wie z. B. das Krankenhauszukunftsgesetz, und müssen auf Wirtschaftlichkeit nicht so stark achten. Niedergelassene Radiolog:innen hingegen fokussieren auf Effizienz aufgrund von Zeitmangel und hoher Arbeitsbelastung. Wenn das Setup nicht absehbar wirtschaftlich ist oder sehr viel Aufwand im Setup oder Handling beansprucht, sind sie weniger bereit für Investitionen in KI.
Inwiefern spielt Individualisierung, z. B. durch spezielle Kundenwünsche, bei der Portfolio-Erstellung eine Rolle?
D. Reiberg: Individuelle Wünsche stehen bei uns an erster Stelle. Wenn Radiolog:innen bestimmte Applikationen auf der Plattform laufen lassen möchten, setzen wir das um, sofern es uns möglich ist. Wichtig ist, dass der Workflow der Praxis erhalten bleibt. Wir arbeiten viel mit Best-Practices, zum Beispiel bei Scanning-Protokollen.
Wie schätzt du derzeit das Interesse von Radiolog:innen an KI-Anwendungen ein?
D. Reiberg: Das Interesse ist sehr heterogen. Viele stehen noch am Anfang, andere testen und arbeiten bereits im KI-gestützten Routinebetrieb. Dort, wo KI schon etabliert ist – etwa in der Kardiologie oder bei der Hirnvolumenmessung – zeigt sich das Potenzial. Insgesamt befinden wir uns aber noch in einem frühen Entwicklungsstadium.
Wie hoch schätzt du den Wissensstand der Netzradiolog:innen ein?
D. Reiberg: Der Wissensstand ist sehr unterschiedlich. Manche Radiolog:innen sind schon sehr weit, andere stehen noch am Anfang. Wir bieten Beratungsgespräche an, um individuelle Ziele und Herausforderungen zu klären und starten mit kleinen, konkreten Projekten. Unsere KI-Plattform kann unkompliziert im Praxisbetrieb getestet werden. Darüber hinaus organisieren wir für das Radiologienetz die Veranstaltungsreihe „Meet AI“, wo wir jeweils einen Anbieter einer Applikation einladen, diese vorzustellen und zu diskutieren – alles online.
Interessant, und welche Kriterien setzt du an, um eine Applikation herstellerunabhängig zu empfehlen?
D. Reiberg: Wir arbeiten mit einem offenen Applikationskatalog und sind herstellerneutral. Wichtig sind Funktionalität, Praxistauglichkeit und Feedback aus dem Radiologienetz. Wir pflegen einen partnerschaftlichen Dialog mit den Herstellern und geben Nutzererfahrungen zurück, um die Produkte weiterzuentwickeln. Diese Konstellation aus Anbietern, erfahrenen Radiolog:innen und Interessenten ist besonders vorteilhaft. Fragen werden sofort verstanden und im selben Kontext diskutiert.
Welche Vorteile seht ihr für die Netzpraxen durch die KI-Plattform?
D. Reiberg: Durch die KI-Plattform schaffen wir Struktur und teilen Erfahrungswissen innerhalb des Radiologienetz, z. B. bei der Knochenalterbestimmung mit Bonexpert. Der Austausch erfolgt direkt und auf Augenhöhe – das schafft Vertrauen und beschleunigt die Entscheidungsfindung.
Wie kann hier eine größere Erfahrungsbasis aufgebaut werden und inwiefern kann das Radiologienetz dafür nützlich sein?
D. Reiberg: Wir bauen gezielt eine Community innerhalb des Radiologienetz auf. Radiolog:innen, die eine bestimmte Applikation bereits nutzen, werden mit Interessenten vernetzt. So entsteht ein praxisnaher Austausch.
Wie verläuft der Prozess der kommerziellen, technischen, organisatorischen und klinischen Validierung für KI-Anwendungen?
D. Reiberg: Die kommerzielle Validierung umfasst die Prüfung der Preise und ggf. Staffelpreise. Die Validierung der technischen Integrationsfähigkeit übernehmen wir. Für die Workflow-Einschätzung und Beantwortung klinischer Fragen versuchen wir, jemanden innerhalb des Radiologienetz zu finden. Beim Prostata-Pilot war die Qualität nicht zufriedenstellend. Wenn etwas nicht passt, kommunizieren wir das an die Hersteller zurück. Dann wird nachgebessert. Um hier routinierte Prozesse zu finden, soll in Zukunft ein Gremium von Radiolog:innen etabliert werden, welches die Applikationen im Echtbetrieb testet. Wenn Verbesserungen nötig sind, sprechen wir diese direkt mit dem Hersteller ab.
Was unterscheidet denn die klinische Validierung im Labor von der Validierung in der klinischen Routine?
D. Reiberg: In der klinischen Routine ist das Umfeld deutlich heterogener. Faktoren wie der Einsatz von Kontrastmitteln oder unterschiedliche Geräteeinstellungen beeinflussen die Funktion der KI – das muss in der Praxis evaluiert werden.
Wie gewährleistet ihr, dass KI-Modelle zuverlässig und präzise arbeiten, insbesondere bei Anomaliedetektion und in Bezug auf medizinische Standards wie Bi-RADS oder Pi-RADS?
D. Reiberg: Die Einhaltung medizinischer Standards ist ein zentrales Qualitätskriterium im Prüfprozess, das wir vorab abfragen. Die Anomaliedetektion kann nur durch Tests erfolgen und muss auch regelmäßig im Routinebetrieb evaluiert werden.
Inwiefern spielt die Unterstützung spezifischer Hardwarehersteller bei der technischen Evaluation eine Rolle?
D. Reiberg: Die Hardware spielt meist eine untergeordnete Rolle – entscheidender sind die Scan-Einstellungen und Scan-Protokolle.
Wie wird sichergestellt, dass KI-Applikationen kommerziell sinnvoll und wirtschaftlich nachhaltig sind?
D. Reiberg: Wir stimmen uns mit dem Honorarconsulting bei Curagita ab. Ein eigener Kosten-Nutzen-Rechner liefert schon erste Ergebnisse, ob sich die Anwendung lohnt und was im Ergebnis zu erwarten ist. Damit lässt sich schon vor dem Kauf berechnen, ob sich die Investition lohnt. Erfahrungswerte aus anderen Praxen fließen ebenfalls ein.
Welche Lizenzmodelle sind für Radiolog:innen praktikabel und welche Abrechnungsmöglichkeiten sind am besten geeignet?
D. Reiberg: Zu Beginn, wenn man die Intensität der Nutzung noch nicht klar absehen kann, eignen sich Pay-per-Use-Modelle gut. Bei zunehmender Nutzung empfehlen wir Modelle mit Mengenrabatten. Über das Radiologienetz lassen sich zudem Skaleneffekte und automatische Abrechnungen realisieren.
Was sind die größten organisatorischen Herausforderungen, insbesondere bei Cloud-Anbindungen oder in Bezug auf DSGVO-Konformität?
D. Reiberg: Cloudlösungen wirken auf den ersten Blick einfach und günstig. Das Problem ist jedoch, dass die Kosten ebenfalls gut skalieren und insofern hohe laufende Kosten im Verlauf erzeugen. Außerdem wird dadurch die gesamte Lösung komplizierter, sowohl aus technischer als auch aus regulatorischer Sicht. Außerdem ist dann die Abhängigkeit von Dritten (Cloudanbieter, Anbieter der Internetanbindung) für eine funktionierende Lösung deutlich höher. Darüber hinaus werden die Laufzeiten erhöht. Wir empfehlen deshalb lokale Lösungen, weil das die technischen und organisatorischen Aufwände reduziert. Hier investiert die Praxis einmal höher, kommt aber auf lange Sicht günstiger weg. Wir überwachen die Systeme und sorgen dafür, dass sie laufen. Personenbezogene Daten dürfen an die KI-App nicht mitgegeben werden, nur die Bilder. Jegliche der KI zugeführten Bilddaten müssen also vor dem Versand pseudonymisiert werden. Die Einwilligung der Patient:innen ist zusätzlich zwingend erforderlich.
Welche Rolle spielt die kontinuierliche Aktualisierung und Anpassung von KI-Modellen für Radiolog:innen?
D. Reiberg: Die Applikationen entwickeln sich sehr schnell weiter. Daher nehmen wir regelmäßig Updates auf der Plattform vor, um bei den Apps auf dem neuesten Stand zu bleiben.
Was sind deiner Meinung nach die größten Potenziale von KI-Applikationen für die Radiologie in den nächsten Jahren?
D. Reiberg: Wir stehen erst am Anfang einer tiefgreifenden Veränderung. Künftig werden KI-Systeme sprachgesteuert sein und die Arbeitsabläufe spürbar automatisieren. Diagnostisch werden sie bei komplexen Fällen unterstützen, etwa durch Mustererkennung in Massendaten – wie bereits bei Studien zur Blutkrebsfrüherkennung in Israel durchgeführt. Mit dem European Health Data Space entstehen neue Chancen, disziplinübergreifende Zusammenhänge in der Gesundheitsversorgung am Patienten zu erkennen.