Schwarmintelligenz – die Weisheit der Vielen

Wenn Tausende von Ameisen intelligent als Schwarm ihr Überleben sichern, kann es der Mensch schon lange. Oder nicht? Das Thema Schwarmintelligenz beschäftigt seit einigen Jahren Chefs, Manager und Mitarbeiter in Diskussionsrunden – immer dann, wenn man kritisch reflektiert, ob bereits das Maximum für den Erfolg der Organisation abgerufen wird oder eben nicht.

Den diesjährigen Radiologentag am 23. November haben die Organisatoren und die Referenten unter das Motto Schwarmintelligenz gestellt. Ein Experte für dieses Thema, Heiner Koppermann, CEO von SwarmWorks, stellte vor, was sich dahinter verbirgt und führte anschließend durch die Veranstaltung. Ziel dieser ersten externen Moderation eines Radiologentags war es, die vorhandene Schwarmintelligenz der Anwesenden zu nutzen. Zusammengefasst: Es hat funktioniert, das Plenum wurde auf verschiedene Weise in die Diskussionen involviert. Der Austausch in großer Gruppe gelang eindrucksvoll und die Teilnehmer konnten wertvolle Inputs für die Nutzung der kollektiven Intelligenz in ihrer eigenen Praxis mit nach Hause nehmen.

Die Theorie der Schwarmintelligenz geht auf Sir Francis Galton zurück, der auf einem Viehmarkt Ende des 19. Jahrhunderts herausfand, dass der Mittelwert aller Schätzungen des Gewichts eines Ochsen ganz nah an dem korrekten Wert lag – die Theorie der Schwarmintelligenz war geboren. In seinen Ausführungen zeigte Koppermann weitere Beispiele, wie sich die kollektive Intelligenz für bessere Ergebnisse einsetzen lässt. Wie das Beispiel einer amerikanischen Firma, die nach erfolglosen Schürfversuchen jedermann anbot, Vorschläge für unentdeckte Goldadern einzureichen und tatsächlich durch verschiedene Hinweise eine neue Quelle fand. Im Bereich Radiologie hatte er natürlich auch ein Beispiel parat: Bereits fünf unabhängige Einschätzungen von Ärzten reichen aus, um die Befundgenauigkeit bei der Brustkrebsdiagnose signifikant zu steigern. Noch schneller und präziser werden die Ergebnisse, sobald die von Radiologen gestellten Befunde mit KI verknüpft werden. Dies haben Forscher der Stanford University of Medicine 2017 eindrucksvoll gezeigt. Hier waren Diagnosen, die mit einer Swarm AI (also einer Kombination aus Kooperation und künstlicher Intelligenz) erstellt wurden um 22 Prozent präziser als die durch eine reine Algorithmus-basierte Intelligenz befundeten.

In seinem Eingangsvortrag warf Koppermann zunächst einen Blick in die Tierwelt: Klassische Beutetiere bauen sich über Schwärme einen kollektiven Schutz vor Fressfeinden oder bedrohlichen Umwelteinflüssen auf und stärken sich innerhalb der Masse. Mit nur wenigen Regeln erreichen sie hohe Effektivität, Effizienz und Flexibilität. Wie lässt sich also die „Weisheit der Vielen“ für menschliche Organisationen nutzbar machen?

Punkt Eins: eine Umgebung schaffen, die Schwarmintelligenz fördert.

Schwarmintelligenz wächst…

… je größer eine Gruppe ist (Statistik)

… je vielfältiger das Wissen, die Erfahrung, die Herkunft, das Alter usw. der Gruppenmitglieder sind (Heterogenität)

... je freier und unbelasteter die Gruppenmitglieder ihre Meinung äußern können (Unabhängigkeit)

… je weniger sie von den Einschätzungen der anderen Gruppenmitglieder oder eines Experten wissen bzw. beeinflusst sind

(Beeinflussungsfreiheit)

… je ernsthafter die Gruppenmitglieder an der Lösung der Aufgabe interessiert sind (Motivation)

Punkt zwei: Agilität durch strukturelle Bereinigung ermöglichen.

Die Entscheidungsqualität des Einzelnen nimmt ab einem bestimmten Infolevel ab. Auf der anderen Seite müssen Manager immer schneller Entscheidungen treffen. Die heutige Unternehmenslandschaft in Deutschland ist laut Koppermann vergleichsweise noch viel zu träge aufgestellt, um auf Veränderungen in angemessener Geschwindigkeit reagieren zu können. Je ausgeprägter die Hierarchien in Unternehmen, desto geringer fällt deren Agilität in der Regel aus. Die Agilität einer Organisation ist dabei determiniert durch die Faktoren wie Empowerment, Wissensaustausch, Kooperation, Innovationsoffenheit, Fehlerkultur, Geschwindigkeit der Entscheidungsfindung, Simplizität sowie der Förderung neuer Technologien. Hier sieht Koppermann in Deutschland Nachholbedarf und unausgeschöpfte Potenziale, insbesondere auch in der Aktivierung der Mitarbeiterschaft.

„Wenn Sie Menschen an Entscheidungsprozessen beteiligen, werden sie die Entscheidung im Nachgang engagiert mit umsetzen.“

Er postuliert als notwendige Bedingungen für die Entfaltung kollektiver Intelligenz Meinungsvielfalt, Unabhängigkeit, Dezentralisierung und zuletzt Aggregation, indem ein Mechanismus geschaffen werden müsse, der die individuellen Urteile zu einer kollektiven Entscheidung bündelt.

Seinen lebendigen Vortrag schloss der Schwarmexperte mit folgenden Handlungsmaximen, die zur Bildung eines starken, intelligenten Schwarmes innerhalb der Organisation beitragen sollen:

  • Arbeite auf ein hohes gegenseitiges Vertrauen der Mitarbeiter hin.
  • Schaffe flache Hierarchien und lasse hohe Freiheitsgrade zu.
  • Halte die Organisation durch ungehinderten Informationsfluss auf dem Laufenden und vernetze die Mitarbeiter digital.
  • Schaffe möglichst hohe Klarheit bei allen über Zweck und Arbeitsweise der Organisation. Sinnstiftende Führung und gute Kommunikation helfen dabei enorm.
  • Fördere die Kreativität der Einzelnen und gewähre ausreichend Fehlertoleranz.
  • Involviere die Mitarbeiter frühzeitig bei der Lösung von Problemen.
  • Erliege nicht der Versuchung, Komplexität mit mehr Regeln zu bekämpfen. Nutze stattdessen wenige Regeln, die wirklich greifen und lasse ansonsten viel Freiheit.
  • Verschwende keine Zeit, die 100%-Lösung zu finden. Beginne stattdessen mit einer Keimzellenidee und nutze dann Irrtum und Versuch, um darauf aufzubauen.

Koppermann gelang es, das Thema Schwarmintelligenz kurzweilig und verständlich zu kommunizieren und durch verschiedene Mitmachtechniken den „Schwarm“ auf dem Podium und im Plenum in einen interaktiven Austausch treten zu lassen.