Radiologienetz-Tag 2024: Rückschau, Fazit, Ausblick
Ein inspirierender 15. Radiologienetz-Tag liegt hinter uns. Am 16. November 2024 kamen rund 150 Radiologinnen, Radiologen um Praxismanager/innen in Heidelberg zusammen, um über die Zukunft der Radiologie zu sprechen. Die Veranstaltung bot eine Plattform für Vorträge und Diskussionen zu Strategie- und Management-Themen, die vor dem Hintergrund anstehender GOÄ- und KH-Reformen sowie der zunehmenden Marktkonsolidierung besonders relevant waren. Berufspolitische Themen, Krankenhaus- und „Private Equity“-Radiologie standen ebenso im Fokus wie die Rolle von KI und Digitalisierung im radiologischen Alltag.
Die Slides der Kongress-Keynotes stehen Mitgliedern aus Radiologienetz-Praxen im Login-Bereich auf pro.radiologie.de als PDF zum Download zur Verfügung. Suchen Sie in der Rubrik Netz unter Events den Radiologienetz-Tag und laden Sie sich die Präsentationen herunter, die für Sie von Interesse sind.
Dr. Johannes Schmidt-Tophoff startete mit einem auftaktgebenden Überblick zu den erarbeiteten 10 Haupttrends des Zukunftsszenarios Radiologie 2030 (Link setzen), welches vielen der folgenden Diskussionsrunden als Grundlage diente.
Zur Digitalisierung im Gesundheitswesen und Implikationen für die Radiologie übernahm Prof. Dr. Volker Nürnberg (Strategieberater BearingPoint und externes Mitglied/Gutachter des Gemeinsamen Bundesausschusses) das Wort. Er betonte einmal mehr, dass die demografischen Entwicklungen sowohl auf Patientenseite als auch im Personalbereich tiefgreifende Auswirkungen haben. Während ältere Mitarbeiter zwar langsamer als jüngere arbeiten, wären sie aber erfahrener. „Culture eats Tragedy for Breakfast.“ – bei aller Tragik im leer gefegten MTR-Personalmarkt könne eine gute Praxiskultur und Zusammenhalt viel bewirken. Dennoch wies er darauf hin, dass die Radiologie mehr Automatisierung und Digitalisierung benötigt, um zukunftsfähig zu bleiben und den Personalmangel abzufangen. Besonders alarmierend sei, dass in Deutschland bei der Digitalisierung ein deutlicher Rückstand besteht. „Derzeit sind wir mit digitalen Insellösungen ausgestattet und Deutschland belegt im europäischen Vergleich bei der Digitalisierung den vorletzten Platz“ konstatierte er und fügte hinzu: „Die Charité arbeitet derzeit mit 800 Formularen.“ Ein Obama-Berater habe ihm einmal am Telefon gesagt: „Ihr habt alle GKV-Daten und macht nichts draus.“ Die Krankenkassen haben mit 880.000 € / Sekunde sehr hohe Ausgaben und dennoch gehe die Lebenserwartung in Deutschland wieder zurück. Die knappen Kassen bei den KVen und der Pflegeversicherung würden in Zukunft zu Leistungskürzungen führen, welche man bspw. über Triage oder die Reduzierung der hohen Anzahl an (häufig unnötigen) Arztbesuchen steuern könne. Eine Selbstbeteiligung der Patienten schloss er als Option nicht aus.
Trotz dieser Herausforderungen gab Prof. Nürnberg auch Hoffnung: Mit Setting orientiertem Arbeiten, wie es etwa in anderen Branchen erfolgreich praktiziert werde, könne die Radiologie modernisiert werden. „Daimler macht mit Azubis heute Sprechstunden über WhatsApp.“ schloss er seinen Vortrag.
Krankenhausradiologie: Perspektiven bis 2030
In einer anschließenden, von Thomas Pfeifer (Radiologic) moderierten Diskussionsrunde wurden die Perspektiven der Krankenhausversorgung erörtert. Mit Prof. Dr. Michael Forsting (Essen), Prof. Dr. Hans-Ulrich Kauczor (Heidelberg), Prof. Dr. Günter Layer (Ludwigshafen) und Prof. Dr. Johannes Weßling (Münster) war die Runde aus Ärztlichen Direktoren, Chefärzten und Institutsleitern renommierter Einrichtungen hochkarätig besetzt. In einer umfassenden Diskussion betonten die Experten die Bedeutung von Personalrekrutierung und effizientem Management. Eine wachsende Bildgebungszahl und der Druck, Personalengpässe zu vermeiden, wurden als zentrale Herausforderungen identifiziert. Einig war man sich über die Notwendigkeit effizienterer Abläufe und einer stärkeren Automatisierung. Teleradiologie und Hybridmodelle aus der Pandemiezeit wurden als positive Entwicklungen genannt, die weitergeführt werden sollten.
Die Frage, ob der Radiologe in der Zukunft zum Generalisten oder Spezialisten werden sollte, führte zu nuancierten Perspektiven. Prof. Kauczor erklärte die Radiologie jetzt schon zur „eierlegende Wollmilchsau“, wobei es nun vor allem darum gehe, die vielfältigen Aufgaben besser auf verschiedene Köpfe zu verteilen. Er sieht zudem eine zukünftige Entwicklung, bei der andere Facharztgruppen vermehrt Zugriff auf die Bildgebung fordern werden. Radiologen müssten daher ihre Rolle überdenken und sich stärker auf die wertvolle Nutzung ihrer Daten konzentrieren. Automatisierte Erkennungen, beispielsweise von Leberverfettungen, könnten zur Etablierung eines radiologisch basierten Präventionsarztes führen.
Prof. Weßling formulierte die Gefahr, das Fach können auseinanderfallen, sieht eine Zukunft und Mehrwert sowohl in einer generalistischen als auch in einer spezialisierten Entwicklung. Die Expertise der Radiologen bleibe in jedem Fall gefragt, da sie eine zentrale Funktion in der Diagnostik und Steuerung der Patientenversorgung übernehmen. Diese „Lotsenfunktion“ sei ein wesentlicher Beitrag für eine effektive Behandlung. Prof. Layer fügte hinzu, dass die Notwendigkeit von Generalisten oder Spezialisten stark von der Größe der jeweiligen Einheit abhänge. Kleinere radiologische Einrichtungen benötigten Generalisten, während größere Einheiten zunehmend spezialisierte Zentren für Onkologie, Neuro-Radiologie, Kardiologie und vaskuläre Radiologie aufbauen könnten. Dabei werde sich die Qualität der Leistungen durchsetzen: „Wer es besser kann, der macht’s.“
Prof. Forsting schloss mit seinem Blick auf die Krankenhauslandschaft der Zukunft. Er sieht eine Entwicklung hin zu sogenannten „Superkrankenhäusern“, wie sie in Dänemark bereits umgesetzt werden. Diese Konsolidierung führe zu einer stärkeren Spezialisierung und damit zu einer qualitativ besseren Gesundheitsversorgung. Die Radiologie solle diese Spezialisierung aktiv mitgestalten.
Radiologie 2030: Perspektiven der Niedergelassenen und der MVZ-Betreiber
Am späten Vormittag wurde der Fokus auf die Perspektiven niedergelassener Radiologen und Betreiber von Medizinischen Versorgungszentren gelegt. Dr. Johannes Schmidt-Tophoff hatte Dr. Klaus Mott, Sebastian Dieterle, und Tobias Neumaier zum Gespräch auf das Podium geladen. Dr. Mott (Radiologie Lahr/Schwarzwald) wertschätzte die Dynamik und Flexibilität der niedergelassenen Radiologie als großen Vorteil, um mit den Herausforderungen der Zukunft umzugehen. Digitalisierung und Künstliche Intelligenz würden neben einer kreativen und menschlichen Facharzt-Tätigkeit in der Radiologie gebraucht. Tobias Neumaier (Med 360° SE) betonte die Notwendigkeit einer stärkeren Verzahnung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung, um Ressourcen effizienter einzusetzen. Sebastian Dieterle (RH Diagnostik & Therapie) berichtete von einer Öffnung der MVZ-Betreiberunternehmen für die Beteiligung von Ärzten und sieht in dieser Entwicklung einen positiven Trend. Alle Beteiligten waren sich einig, dass die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen MVZ und den Niedergelassenen vorstellbar ist und gestärkt werden müsse, um die Radiologie in Zukunft effizienter und patientenzentrierter zu gestalten.
Sowohl Neumaier als auch Dieterle berichteten, dass das Interesse von Investoren an Investitionen in die deutsche Radiologie nach wie vor groß sei. Allerdings seien diese Investitionen langfristig ausgelegt. Die anfänglichen Erwartungen an Kauf- und Wiederverkaufspreise würden voraussichtlich nicht erfüllt, (Re-)Investitionen seien notwendig.
Wie hilfreich ist Künstliche Intelligenz aktuell in der Radiologie wirklich?
Nach der Mittagspause wurde die Integration von künstlicher Intelligenz in den klinischen und Praxisalltag thematisiert – zuerst im überaus interessanten Vortrag von Prof. Dr. Forsting, danach im Diskussionspanel unter Ärzten, die bereits KI im Einsatz haben unter der Moderation von Andrea Salwat. In der bildgebenden Analyse spielt der Nachweis von Muskelabbau eine zunehmend wichtige Rolle als Indikator für Krebs. Moderne KI-gestützte Technologien können laut Prof. Forsting heute Bilder reproduzieren, selbst wenn nur 10 Prozent des ursprünglichen Rohmaterials vorhanden sind. Trotz dieser Fortschritte gibt es jedoch erhebliche Hürden, die es zu überwinden gilt. Eine der größten Herausforderungen ist die Verfügbarkeit einer zuverlässigen „Ground Truth“, also einer soliden Datenbasis, die als Referenz für die Bildauswertung dient. Darüber hinaus stellt die Integration solcher Systeme in den klinischen Workflow eine weitere Schwierigkeit dar, ebenso wie die Frage nach der Wirtschaftlichkeit und der nachhaltigen Verbesserung der medizinischen Qualität und Seriosität der Verfahren. Versicherungen könnten dabei eine treibende Kraft für die breitere Anwendung dieser Technologien werden, da die Sicherstellung von Qualitätsstandards ein entscheidender Faktor für die Akzeptanz und Förderung solcher Innovationen sein dürfte.
Um eine Einschätzung der aktuellen KI-Lösungen gebeten, war man sich in der Runde einig: hier ist noch viel Luft nach oben. Dr. Sandro Dannenmaier (Radiologie Freiburg) äußerte sich kritisch über einige derzeitige KI-Lösungen im Bereich der Radiologie, die er bereits getestet hat. Seine ersten Erfahrungen mit Anwendungen und Systemen seien noch nicht zufriedenstellend. Insbesondere gäbe es Probleme mit der Integration in die bestehenden Schnittstellen.
Dr. Jonas Müller-Hübenthal (Praxis im Köln-Triangle) berichtete von seinen inzwischen umfangreichen Erfahrungen mit diversen KI-Lösungen auch im Rahmen des Pilotprojektes mpMRT Prostata KI. Sein Fazit: der Ansatz, über zusätzliche Rechner die KI arbeiten zu lassen, wie er bei der iDA-Plattform von Dayiana verfolgt wird, sei grundsätzlich der richtige Weg. Allerdings ist der Einsatz bisher noch teuer und die KI-Systeme verbesserungsfähig. Derzeit testet sein Team drei verschiedene KI-Applikationen, doch die Erwartung, dass sie Radiologen in Bereichen unterstützen, die nicht zu ihren Schwerpunkten gehören, sieht er bisher nicht erfüllt. Dr. Müller-Hübenthal äußerte auch den Wunsch, künftig eigene „Ground Truth“-Daten zu generieren, um die Ergebnisse weiter zu verbessern. Er hob zudem hervor, dass KI-gestützte Textgenerationssysteme eine deutliche Erleichterung im Alltag bringen könnten.
Dr. Till Schneider (Radiologisches Zentrum Wiesloch) wies darauf hin, dass Volumetrie bereits seit Jahren erfolgreich im Einsatz sei. Diese Technologie ermögliche es Zeit zu sparen, diese den Patienten zu widmen und gleichzeitig mehr Diagnosen zu erstellen als andere Fachgruppen, was die Relevanz der Radiologie weiter stärken könne.
Die geladenen KI-Anbieter auf dem Podium nahmen die nüchternen, aber durchaus aufgeschlossenen Erfahrungen der radiologischen Anwender mit. Fazit: KI ist auf dem Vormarsch. Der Austausch über die passenden Lösungen wird in den nächsten Jahren intensiv weiterzuführen sein.
Diskussionspanel mit Kooperationspartnern aus der Industrie
Im letzten Diskussionspanel des Tages standen Industriekooperationen im Fokus. In den letzten 25 Jahren hat Curagita zum Nutzen jeder einzelnen Radiologienetz-Praxis Volumina gebündelt und verhandelt. Daraus sind vertrauensvolle Kooperationen entstanden, die erstmals auf einem Radiologienetz-Tag gewürdigt wurden. Vertreter der Pharma-, Großgeräte-Industrie, Software- und Dienstleistungsanbieter wurden von Curagita-Vorstand Frank Vogel exemplarisch auf das Podium gebeten und präsentierten die Sicht ihrer Branche auf die radiologische Landschaft 2030. Dabei wurde von allen hervorgehoben, wie wichtig es sei, Innovationen zu entwickeln, ohne Radiologen durch hohe Kosten zu überfordern. Die Zusammenarbeit und der Informationsfluss aus dem Radiologienetz wurde von allen Partnern als wertvoll erachtet.
Parallelprogramm zu Praxismanagement-Themen
In einem bunten Workshop-Reigen, der von PKV-Abrechnung über Führung bis zu Resilienz reichte, konnten sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem Bereich Praxismanagement Knowledge und Impulse für ihren Praxisalltag holen. Der Workshop-Raum im EG war voll, die Stimmung gut und das Teilnehmer-Feedback durchweg positiv! Viele der Praxismanagerinnen und Praxismanager waren bereits am Vortag zum Praxismanagement-Austausch zusammen gekommen, der mit 90 Minuten fast etwas kurz war und informell auf dem Badminton-Platz und an der Bar am Abend fortgesetzt wurde.
Der Radiologienetz-Tag 2024 zeigte einmal mehr, wie vielfältig die Themen und Herausforderungen der Radiologie sind. Vom Einsatz von KI und Automatisierung über Spezialisierung bis hin zu neuen Kooperationen – die Zukunft bietet immense Chancen, erfordert aber auch Mut zur Veränderung. Die Konferenz zeigte auch, dass die Themen der niedergelassenen Radiologinnen und Radiologen und der MVZ-Betreiber ebenso wie die der Krankenhaus-Radiologien sich nicht mehr allzu sehr voneinander unterscheiden: Fachkräftemangel, Digitalisierung, Standardisierung, Rationalisierung bei gleichzeitigem Innovationsbedarf. Der Austausch war für alle Seiten lohnenswert und fruchtbar. Bleiben wir zu diesen Themen auch 2025 in regem Austausch: Save the date Radologienetz-Tag 21./22.11.25.
Der Tag endete übrigens mit einem launigen Jubiläumsdinner im 11. Stock des nagelneuen Atlantik-Hotels in Heidelberg, auf dem Gastgeber Dr. Johannes Schmidt-Tophoff eine Hommage über 25 Jahre zum „Homo Radiologicus“ zum Besten gab – durch eine KI in Versform gebracht. Dieser folgte die Abschiedsrede eines realen „Homo Radiologicus“ in Person des langjährigen Fachbeirats von Radiologienetz und Curagita-Aufsichtsrats Jürgen Witt, der sein persönliches Fazit von 25 Jahren als niedergelassener Radiologe sehr menschlich schloss: „Auch in Zeiten immer weiter fortschreitender Arbeitsverdichtung muss es so bleiben, dass Sie und ihre Mitarbeiter morgens gerne zur Arbeit kommen. Der morgendliche Blick in den Spiegel sollte die Messlatte sein.“