Überschreitung der Grenzen des Fachgebietes bei Privatpatienten

Das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) hat entschieden, dass auch eine Magnetresonanztomografie-Untersuchung (MRT), die außerhalb der eigenen Fachgebietsgrenzen und ohne die einschlägig geforderte Zusatzweiterbildung erbracht wurde, nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) abgerechnet werden kann (Urteil vom 18.1.2022 – Az.: 1 Z RR 40/20). Dieses Urteil ist insofern von besonderem Gewicht, als die Heilberufsgesetze in allen Bundesländern die Ärzte verpflichten, nur innerhalb der Grenzen ihres Fachgebietes tätig zu werden.

Die Leitsätze dieser Entscheidung lauten:

  1. Ein Verstoß gegen das Beschränkungsgebot in Art. 34 des Bayerischen Heilberufe-Kammergesetzes (HKaG) führt nicht zur (Teil-) Nichtigkeit des Behandlungsvertrags nach § 134 BGB.
  2. Ein Arzt kann auch fachgebietsfremde Leistungen unter den Voraussetzungen der § 1 Abs. 2 Satz 1 und § 4 Abs. 2 Satz 1 der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) abrechnen.

Einige wichtige Aspekte dieses Urteils:

  • Die Klägerin, ein privater Krankenversicherer, begehrt aus übergegangenem Recht ihrer Versicherungsnehmer Rückzahlung ärztlicher Honorare, die der Beklagte, ein in R. niedergelassener Facharzt für Orthopädie, Chirurgie und Unfallchirurgie, für von ihm in den Jahren 2011 bis 2016 auf der Grundlage eines Kooperationsvertrags mit einem Krankenhaus erbrachte MRT-Untersuchung abgerechnet hat. Eine – fachgebundene – Zusatz-Weiterbildung Magnetresonanztomografie, die mit der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns vom 24. April 2004 (WBO 2004) eingeführt worden ist, hat der Beklagte nicht absolviert.
  • Die zwischen dem Beklagten und den Versicherungsnehmern der Klägerin zustande gekommenen Behandlungsverträge sind wirksam. Ein etwaiger Verstoß des behandelnden Arztes gegen das Beschränkungsgebot in Art. 34 Abs. 1 HKaG führt nicht zur (Teil-) Nichtigkeit des Behandlungsvertrags nach § 134 BGB. Die landesrechtliche Norm bestimmt: „Wer eine Gebietsbezeichnung führt, darf grundsätzlich nur in dem Gebiet tätig sein. Wer eine Teilgebietsbezeichnung führt, muss auch in dem Teilgebiet tätig sein, dessen Bezeichnung er führt“.
  • Es kann dahinstehen, ob, wie das Berufungsgericht meint, ein solcher Anspruch zu verneinen ist, weil die Durchführung von MRT-Untersuchungen durch den Beklagten nicht als „fachfremd“ eingestuft werden könne. Das Berufungsurteil stellt sich jedenfalls aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO), weil ein Verstoß gegen das Beschränkungsgebot in Art. 34 Abs. 1 Heilberufe-Kammergesetz (HKaG) weder zur (Teil-)Nichtigkeit des Behandlungsvertrags führt noch einer Abrechnung der Leistung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 oder § 4 Abs. 2 Satz 1 GOÄ entgegensteht.
  • Art. 34 Abs. 1 HKaG steht bei verfassungskonformer Auslegung nur einer systematischen, nicht mehr geringfügigen fachgebietsfremden Tätigkeit eines approbierten Arztes entgegen. Dass die Norm ausdrücklich Ausnahmen zulässt, spricht gegen die Annahme eines Verbotsgesetzes.
  • Die Regelungen der Gebührenordnung für Ärzte stehen den Honoraransprüchen des Beklagten (§ 611 Abs. 1, § 612 BGB i.V. m. § 630a Abs. 1, § 630b BGB, jedenfalls soweit die streitgegenständlichen Behandlungsverträge ab dem 26. Februar 2013 geschlossen worden sind, nicht entgegen.
  • Bei der Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung ein objektiver Maßstab anzulegen (…). Mit dem Begriff „medizinisch notwendige“ ärztliche Versorgung wird nicht an den Vertrag zwischen dem Patienten und dem behandelnden Arzt und die nach diesem Vertrag geschuldete medizinische Heilbehandlung angeknüpft. Es wird vielmehr ein objektiver, vom Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängiger Maßstab eingeführt (…). Diese objektive Anknüpfung bedeutet zum einen, dass es für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung nicht auf die Auffassung des Patienten und auch nicht allein auf die des behandelnden Arztes ankommen kann. Gegenstand der Beurteilung können vielmehr nur die objektiven medizinischen Befunde und Erkenntnisse im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung sein (…). Entscheidend ist, ob die Behandlung bzw. Untersuchung nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt ihrer Vornahme als notwendig anzusehen war (BGHZ 184, 61 Rn. 26).
  • Auf der Grundlage des angefochtenen Urteils ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Durchführung einer MRT-Untersuchung im Rahmen der streitgegenständlichen Behandlungen – unabhängig von der Qualifikation des Beklagten – nicht medizinisch indiziert gewesen wäre. Verfahrensrügen hat die Klägerin in diesem Zusammenhang nicht erhoben.
  • In der Begründung weist das BayObLG auch auf den weiteren Facharztbeschluss des BVerfG vom 1. Februar 2011 hin. Das BVerfG habe in dieser Entscheidung betont, es komme auf den Umfang fachgebietsfremder Behandlungen an, und in dem konkreten Fall auf den Anteil der fachfremden Operationen an den jährlich durchgeführten Operationen abgestellt; ein Anteil unter 5% bewege sich noch im geringfügigen Bereich. 

Das Positionspapier der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG), der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR) und der Gesellschaft für Pädiatrische Radiologie (GPR) vom 8. April 2021 zu den fachlichen Anforderungen an Durchführung und Befundung von MRT-Untersuchungen außerhalb des Fachgebietes Radiologie kommt zu folgenden Schlussfolgerungen: 

DRG, DGNR und GPR stehen der Durchführung von MRT-Untersuchungen durch Nichtradiologen im Interesse von Qualitätsstandards, Patientenwohl und Kostenträgern kritisch gegenüber.  Die Weiterbildungsordnungen der Landesärztekammern bieten mit der 24-monatigen „Zusatz-Weiterbildung Magnetresonanztomographie“ die einzige kompetenzbasierte und qualitätsgesicherte Weiterbildungsmöglichkeit für Fachärzte außerhalb des Faches der Radiologie. Diese muss als Mindeststandard für die Durchführung und Befunderstellung von MRT-Untersuchungen gefordert werden. Der alleinige Nachweis von Fortbildungen in der MRT ist – ohne entsprechende Weiterbildung – aus Gründen der Patientensicherheit abzulehnen. Durchführung und Befunderstellung von MRT-Untersuchungen müssen adäquat weitergebildeten und kontinuierlich fortgebildeten Fachärztinnen und Fachärzten vorbehalten bleiben

Kernaussagen:

  • Die MRT hat als Diagnoseverfahren aufgrund ihrer Aussagekraft einen stetig wachsenden Stellenwert und gilt bei vielen Indikationen als der Referenzstandard.
  • Die Methode MRT ist in vielerlei Hinsicht komplex und birgt bei unsachgemäßer Anwendung und fehlender Expertise Gefahren für Patienten.
  • Nur in der Weiterbildung zum Facharzt für Radiologie werden sämtliche Aspekte der MRT hinsichtlich Indikationsstellung, Durchführung und Befunderstellung systematisch erlernt und in definierter und hoher Anzahl nachgewiesen.
  • Die einzige kompetenzbasierte und qualitätsgesicherte Weiterbildungsmöglichkeit für nichtradiologische Fachärzte ist die 24-monatige „Zusatz-Weiterbildung Magnetresonanztomographie“ nach den Weiterbildungsordnungen der Landesärztekammern.
  • Im Interesse der Qualitätssicherung und Patientensicherheit muss für die Durchführung und Befunderstellung von MRT-Untersuchungen eine abgeschlossene Weiterbildung nach Weiterbildungsordnung gefordert werden.

Das Fazit der Deutschen Röntgengesellschaft bei der Bewertung des Urteils des BayOBLG): „Das Urteil reißt bislang anerkannte Schutzwälle zur Qualitätssicherung ein und dürfte sich auch auf weitere ärztliche Leistungsbereiche auswirken. Die Entscheidung lässt deshalb viele Fragen offen. In enger Abstimmung mit den anderen radiologischen Verbänden wird die DRG weitere Schritte unternehmen mit dem Ziel, die Versorgungsqualität für Privatversicherte auch zukünftig sicherzustellen.”


Dieser Artikel stammt vom Leo Schütze Verlag, Herausgeber des "Schütze-Briefs". Curagita übernimmt keine Gewähr für die Richtigkeit dieser Informationen