Radiologische Diagnose- und Befundungsfehler: Muss mit juristischen Konsequenzen gerechnet werden?

Trotz größter Sorgfalt können im Alltag Fehler passieren. Passiert einem Arzt ein Fehler, kann dies fatale Folgen haben – für den Patienten, seine Angehörigen und für den Arzt.

Gemäß § 630a BGB hat die ärztliche Behandlung nach dem zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standard zu erfolgen. Geschuldet ist der sogenannte Facharztstandard, d. h. eine Behandlung, die durch den jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrung des entsprechenden Fachgebiets repräsentiert wird, zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat (s. a. BT-Drs. 17/10488, S. 19).

Neben dieser Standardunterschreitung setzt die Haftung wegen eines Behandlungsfehlers auch das Verschulden des Arztes voraus, d. h. dass der Arzt den Sorgfaltsmaßstab außer Acht gelassen hat, den der Verkehr von einem ordentlich pflichtgetreuen Durchschnittsarzt der jeweiligen ärztlichen Fachgruppe in der konkreten Situation nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Praxis an Kenntnissen, Wissen, Können und Aufmerksamkeit erwarten darf.

Zusätzlich muss der Behandlungsfehler auch kausal für den bei dem Patienten eingetretenen Schaden sein. Der ursächliche Zusammenhang setzt als Minimalerfordernis vor-aus, dass das zum Schadensersatz verpflichtende Ereignis – das in einem Behandlungs-, Diagnose- Befunderhebungsfehler oder in einem Aufklärungsmangel liegen kann – nicht hinweggedacht oder, wenn der Fehler in einer Unterlassung besteht, nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der Schaden entfiele (conditio sine qua non).

Im Fachgebiet der Radiologie liegt der Fokus der ärztlichen Tätigkeit nicht auf therapeutischem, sondern auf diagnostischem Gebiet. Der Oberbegriff des Behandlungsfehlers erfasst aber auch den Diagnosefehler, bei dem allerdings andere Voraussetzungen vorliegen müssen als bei einem Fehler im Rahmen einer Behandlung.

Nicht jeder Fehler bei einer Diagnose führt auch zu einem vorwerfbaren Diagnosefehler. Symptome einer Erkrankung sind fast immer vielschichtig und nur ganz selten eindeutig. Zeigt sich bei einer Röntgenuntersuchung der Lunge wegen Brustschmerzen (bei einer Patientin mit Vorerkrankung Mammakarzinom) lediglich eine winzige Aufhellung in einem Lungenflügel, so kann die Diagnose "ohne Befund" nicht als dem Arzt vorwerfbarer Diagnosefehler angesehen werden, wenn die Aufhellung nur unter Berücksichtigung der später gewonnenen Erkenntnisse zum Vorliegen eines tumorösen Geschehens bereits als entsprechender Hinweis auf ein (später festgestelltes) Lungenkarzinom eingeordnet werden kann. Vielmehr handelt es sich dann lediglich um einen Diagnoseirrtum, der nicht zu einer Arzthaftung führt. Die Beweislast für einen vorwerfbaren Diagnosefehler liegt in der Regel beim Patienten (Oberlandesgericht Koblenz, Beschluss vom 20. Februar 2017 – 5 U 1349/16). Hinsichtlich der Etikettierung von Diagnoseirrtum und Diagnosefehler ist die Rechtsprechung jedoch uneins, so dass in manchen Fällen auch ein Diagnoseirrtum eine Haftung auslösen kann, während umgekehrt auch ein Diagnosefehler nicht automatisch zu einer Haftung des Arztes führen muss. Wichtiges Unterscheidungskriterium ist hier die Vorwerfbarkeit fehlerhaften ärztlichen Handelns.

Von einem vorwerfbaren Diagnosefehler kann daher nur dann ausgegangen werden, wenn der Radiologe eine Erkrankung oder Verletzung schuldhaft nicht erkannt hat, also entweder die Diagnose grob verkannt hat oder die Verdachts- oder Arbeitsdiagnose nicht überprüft hat.

Von besonderer Bedeutung in diesem Zusammenhang ist auch der Umgang mit fehlerhaften Fremddiagnosen. Umso schwerwiegender das Krankheitsbild, desto größer ist die Pflicht des Radiologen zur Überprüfung der Fremddiagnose. Allerdings ist der Radiologe nicht verpflichtet, jede Fremddiagnose zu überprüfen. Er darf sich nach den Grundsätzen der „horizontalen Arbeitsteilung“ grundsätzlich auf die Richtigkeit der Fremddiagnose verlassen. Ergeben sich allerdings Anhaltspunkte für ein fehlerhaftes Vorgehen, so ist der Radiologe zur weiteren Überprüfung verpflichtet.

Wichtig im Falle von Fremddiagnosen ist zu beachten, dass bei einem positiven Befund nicht nur der Überweiser informiert wird, sondern auch der Patient selbst. Geht der positive Befund auf dem Weg zum Überweiser verloren oder verabsäumt der Überweiser den Patienten zu informieren, kann dies zu einer Haftung des Radiologen führen, wenn er den Patienten nicht nachweisbar informiert hat.

Genießt der Arzt bei einem Diagnosefehler ein gewisses Haftungsprivileg, so sieht die Haftung bei einem Befunderhebungsfehler in der Regel jedoch anders aus. Ein Befunderhebungsfehler liegt immer dann vor, wenn medizinisch gebotene Befunde nicht erhoben wurden. Der Stand der medizinischen Wissenschaft bestimmt hierbei, welche Befunde zu erheben sind.

Häufig bedingen sich jedoch Diagnose- und Befunderhebungsfehler gegenseitig, was die Abgrenzung voneinander und die Frage der Haftung ausgesprochen schwierig macht.

Führt ein Diagnosefehler dazu, dass keine weiteren Befunde erhoben werden, so ist dem Arzt jedoch ein Befunderhebungsfehler vorzuwerfen. Üblicherweise führen nur grobe Behandlungsfehler im Bereich der Arzthaftung zu einer Beweiserleichterung bis hin zu einer Beweislastumkehr zu Gunsten des Patienten. Das bedeutet, dass der Arzt in diesem Fall nachweisen muss, dass der Schaden, den der Patient erlitten hat, nicht auf einer fehlerhaften ärztlichen Handlung beruht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann aber auch ein einfacher Befunderhebungsfehler zu einer Beweislastumkehr hinsichtlich dessen Kausalität für den eingetretenen Gesundheitsschaden führen. Das ist dann der Fall, wenn sich bei der gebotenen Abklärung der Symptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein so deutlicher und gravierender Befund ergeben hätte, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellen würde und dieser Fehler generell geeignet ist, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen. Eine unterlassene Befunderhebung ist jedoch z. B. gegeben, wenn der Radiologe auf einem angefertigten CT den Ausläufer eines Lungenrundherdes entdeckt, es aber unterlässt, eine sofortige histologische Abklärung zu veranlassen.

Anhand der beiden genannten Beispiele zeigt sich, wie schwierig die juristische Abgrenzung zwischen einem Diagnoseirrtum/Diagnosefehler, der nicht zu einer Haftung des Arztes führt, und dem Befunderhebungsfehler, bei dem sich der Arzt entlasten muss, sein kann.

So fatal im Einzelfall ein Behandlungsfehler für die Beteiligten auch sein mag, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass trotz enormer Zunahme der Behandlungsfälle, sowohl im stationären wie auch im ambulanten Bereich, die Zahl der bei der Gutachterkommission und Schlichtungsstelle der Ärztekammern gemeldeten Fälle von Diagnosefehlern bei bildgebenden Verfahren stagniert, bzw. leicht rückläufig ist. Die seit 2005 dort geführte Statistik listet jährlich zwischen 12.000 und 14.000 gemeldete Fälle eines vermutlichen Behandlungsfehlers auf. Die Anzahl der gemeldeten Diagnosefehler im bildgebenden Bereich beträgt meist etwas über 1.100.

Beitrag von Rechtsanwältin

Gabriele Holz

holzlamade.de