Radiologie 2030: Ein Blick in die Zukunft der Radiologie
Bereits 2006 erarbeitete das Radiologienetz einen Ausblick in die Landschaft der Radiologie 2020. Er wurde durch die Zusammenführung zahlreicher einzelner Expertengespräche entwickelt. Das skizzierte Szenario benannte viele Entwicklungen in der niedergelassenen Radiologie ziemlich treffgenau. Daher wurde im letzten Jahr beschlossen, das gesammelte Netzwissen in eine Fortschreibung bis zum Jahr 2030 einfließen zu lassen.
Die ersten Themen konnten bereits im vergangenen Jahr angeschoben werden. Im Rahmen einstündiger qualitativer Interviews zu verschiedenen Themenblöcken (Medizin, Technologie, Angebot, Nachfrage, Organisation) gaben 2017 fünf Fachbeiräte des Radiologienetzes ihre Sicht auf die Entwicklungen der Zukunft der Radiologie bis 2030 wieder: Dr. Udo Bühring (Landau), Dr. Friedrich-Wilhelm Roloff (Ludwigsburg), Jürgen Witt (Neckarsulm), Dr. Marco Anders (Heilbronn) und Dr. Joachim Söldner (Stuttgart). Die Antworten fassen wir in diesem Beitrag zusammen und freuen uns auch über den Beginn einer Diskussion auf curacompact.de.
Rückblickend treffen Prognosen selten ein. Zudem ist das Umfeld, in dem Praxen tätig sind, schnelllebig und schwer vorhersehbar. Der Blick in die Zukunft wird immer schwieriger. Mit Hilfe kreativer Denkweisen sowie unter Verwendung qualitativer und subjektiver Informationen lassen sich alternative, plausible Bilder darüber entwerfen, wie sich die Welt entwickeln könnte. Im Ergebnis entsteht kein akkurates Bild der Zukunft, sondern im besten Fall ein Rahmen für bessere Entscheidungen und langfristige Strategien, der den Horizont der handelnden Personen erweitert.
Ergebnisse des Themenblocks Medizin
Das Fach Radiologie wird sich verändern, die Bedeutung der Bildgebung nimmt eher zu.
Die Radiologie als Fach wird weiterwachsen und sich verändern – darin sind sich die Befragten im Großen und Ganzen einig. Die Komplexität der Verfahren wird zunehmen. Automatisierung schreitet voran. Zugleich werden die Diagnosen genauer, Fehler seltener. Die Radiologen sehen als Wachstumsbegrenzung die kritische Nachfrage der Zahlungsträger nach der Wirtschaftlichkeit und ggf. Trends in Richtung Altersgrenzen für die Durchführung bestimmter Untersuchungen.
Molekulare Bildgebung nimmt langsamer als erwartet zu und bremst das Wachstum der Schnittbilduntersuchungen erst einmal nicht.
Insbesondere der Schnittbildanteil nimmt gemäß Stimmungsbild weiter zu. Der Bereich der Magnetresonanztomographie wird nach wie vor den höchsten Stellenwert besitzen. Die Umsetzung der molekularen Bildgebung gestaltet sich weitaus langwieriger als gedacht. Sie wird zwar inhaltlich durch erhöhte Diagnosepräzision an Bedeutung gewinnen, aber voraussichtlich 2030 noch nicht flächendeckend verfügbar sein, sondern sich auf Spezialzentren begrenzen.
Spezialisierungen innerhalb der Radiologie werden zunehmen.
Generell entwickeln sich innerhalb der Radiologie immer mehr Spezialfelder, wie beispielsweise die Neuro-, Kinder-, Abdominalradiologie. Die Spezia-lisierungen sehen alle Befragten als sinnvoll an, problematisiert wird jedoch die Gefahr der Aufsplitterung der Facharztausbildung zum Radiologen und der Verlust von Generalisten als Folge der Spezialisierung. Angedacht wird, dass die Spezialisierung in der ambulanten Radiologie sich an den dort häufigsten Fragestellungen orientieren wird, zum Beispiel „Knie“. Seltene Fragestellungen könnten künftig eher von Spezialisten im stationären Bereich abgedeckt werden. Wichtig für die Radiologie wird auch künftig die Abgrenzung zu anderen Fachgebieten sein, die schon heute die Fühler in Richtung (Teil-)Radiologie ausstrecken.
Ergebnisse des Themenblocks Technologie
Computer Aided Diagnosis (CAD) birgt viele Chancen für Radiologen.
Die Befragten hoffen, mit CAD ein wichtiges Tool in der Befundung zu erhalten, das sie dabei unterstützt, die Bilderflut zu bewältigen. Aber auch hier ist ihrer Ansicht nach die Entwicklung viel langsamer als projektiert, wobei sich bis zum Jahre 2030 einiges tun könnte. Als Chance sehen die Radiologen, dass dank der neuen Technologie der Fokus auf das Wesentliche gelenkt wird, die großen Datenmengen im CT-Bereich schneller verarbeitet und Befundungszeiten verkürzt werden. Ein leichteres und schnelleres Erkennen von krankhaften Befunden wäre die Folge.
Auch die Bereitstellung eines Befund-Datenpools, auf welchen alle Radiologen zugreifen, könnte an Relevanz gewinnen. Eine Verknüpfung des Datenpools mit einer Software zum Abgleich mit neuen Befunden würde zu einer vereinfachten Befundung führen. Werden bestimmte Konstellationen erfüllt, käme es zu entsprechenden Befundvorschlägen. Der Datenpool könnte nach und nach vergrößert werden, wobei die Befundsicherheit analog zur Größe des Pools wächst.
Als Haupteinsatzbereiche für eine solche „Teil-Automatisierung“ werden Früherkennungsuntersuchungen etwa im Bereich Thorax, Leber oder Skelettdiagnostik sowie Verlaufskontrollen genannt. Kosteneinsparungen und Prozessoptimierungen werden als positive Auswirkungen gesehen, ebenso die Reduzierung der Befundungsfehler. Eine komplett automatisierte Befunderstellung, bei der ein Radiologe nur noch den automatisch erstellten Befund freigibt, halten jedoch alle für unrealistisch.
In Hinblick auf die Standardisierung und ein einheitliches Befundqualitäts-Level wird sich den Radiologen zufolge auch die strukturierte Befundung Schritt für Schritt durchsetzen.
Digitalisierung wird zur Grundausstattung einer jeden Praxis gehören.
Die IT entwickelt sich stetig weiter. Rechnerleistungen werden immer komplexer und schneller. Das verändert auch die Arbeit in den Praxen, da sind sich die Radiologen einig. Schnittstellen werden zunehmend eine Rolle spielen. Auf der Basis von Standardisierungen werden die Daten jederzeit und standortübergreifend verfügbar sein. Bilder werden künftig nicht mehr per CD oder E-Mail ausgetauscht, sondern können in einer Cloud abgerufen werden. Entwicklungen, die auch die Patienten spüren. Die virtuelle Patientenakte wird kommen, während die elektronische Gesundheitskarte um weitere Informationen ergänzt wird.
Auch die Teleradiologie wird in den Praxen eine zunehmende Rolle spielen, so der einhellige Tenor. Die Vernetzung im Sinne einer flächendeckenden Versorgung wird sich gemäß der Befragten weiter ausdehnen. Zukünftig könnte es mehr Zentren geben, die der reinen Befundung dienen – ohne jeglichen Patientenkontakt.
Papier wird nach und nach aus den Praxen verschwinden. Digitalisierung und Automatisierung werden langfristig zu Kosteneinsparungen führen.
Ergebnisse des Themenblocks Nachfrage
Die Nachfrage nach radiologischen Untersuchungen wird erheblich steigen.
Vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung ist für alle Befragten klar: Die Nachfrage nach radiologischen Leistungen wird zukünftig steigen. Die Menschen werden älter und das Risiko, im Alter zu erkranken, ist erhöht. Zudem kommt die Baby-Boomer-Generation ins „Tumoralter“.
Angefeuert wird die Nachfrage weiterhin durch die technische Entwicklung: Dank der immer präziseren Schnittbildgebung kommt es zu Folgeuntersuchungen im Rahmen der Ausschlussdiagnostik. Weiterhin werden Vorsorgeuntersuchungen zunehmen – vor allem Prostata-, Mamma- und Thorax-Untersuchungen.
Parallel dazu wird die Zahl der zur Verfügung stehenden Radiologen sinken.
Die befürchtete Kostenexplosion im Gesundheitswesen birgt Risiken.
Die Individualisierung der Krebstherapie allein wird zu einer Kostenexplosion führen. Aber die befragten Fachbeiräte rechnen auch mit einer erheblichen Kostensteigerung in der Radiologie. Die Bedeutung der Radiologie im Gesamtspektrum der Diagnostik ist generell wesentlich, zugleich wachsen die Anforderungen: Es müssen zukünftig mehr diagnostische Leistungen in kürzerer Zeit erbracht werden.
Ergebnisse des Themenblocks Angebot
Bis 2030 wird die Versorgung durch Krankenhäuser im ambulanten Bereich zunehmen.
Krankenhäuser werden allen Radiologen zufolge eine wachsende Rolle spielen. Kleine und mittlere Häuser werden zunehmend von Ketten übernommen. Diese Entwicklung hat bereits begonnen. Die Stärkung der Krankenhäuser und deren Fachabteilungen ist Ziel der Gesundheitspolitik. In Krankenhäusern mit über 500 Betten werden weiterhin eigene Radiologie-Abteilungen betrieben werden. Ob diese in der ambulanten Versorgung eine Rolle spielen werden, wird sich zeigen.
Vice versa ist auch eine Verlagerung heute stationär erbrachter radiologischer Leistungen in den ambulanten Bereich möglich.
Insgesamt wird derzeit wenig für die Verzahnung zwischen ambulantem und stationärem Sektor getan. Das wird sich aber voraussichtlich ändern.
Die Versorgung bleibt auf hohem Niveau, aber nicht in der Fläche.
Die Versorgung, Planung und Regulation über Arzt-Sitze wird sich den befragten Radiologen zufolge voraussichtlich bis 2030 nicht ändern. Auch zukünftig wird die gute Versorgung in Deutschland nicht heruntergefahren – darüber ist man sich einig. Das ist nicht zuletzt politisch betrachtet ein zu heikles Thema, mit dem die Wählermassen vergrault werden könnten. Dafür könnten sich aber die Schwerpunkte ändern. Der Hausarzt als Zuweiser wird immer wichtiger. Die Anbindung an Krankenhäuser wird zunehmen. Die Konzentration in Richtung großer Anbieter radiologischer Leistungen (stationäre und ambulante Zentren) wächst.
Radiologische Großpraxen sind weiter auf dem Vormarsch – in verschiedenen Organisationsformen.
Den Befragten zufolge sind vor allem große Praxis-Einheiten auf dem Vormarsch. Der heute schon bestehende Trend hin zu immer größer werdenden Radiologie-Praxen wird vor dem Hintergrund von Kostensynergien zwangsweise weiter voranschreiten. Die großen Praxen werden über bessere Strukturen und Patientenströme verfügen. Und auch Verbünde werden an Stärke gewinnen. Die wenigen radiologischen Einzel-Praxen werden 2030 hingegen gar nicht mehr existieren.
Einige der Befragten stellen in den Raum, wie groß eine Großpraxis werden kann, um noch handlungsfähig zu sein mit vielen gleichberechtigten Partnern, hohem Abstimmungsbedarf und erheblichem Interessenskonfliktpotential.
Freiberuflichkeit ist für Radiologen der nächsten Generation weniger wichtig.
Die Risikobereitschaft bei den Jungradiologen nimmt ab. Junge Ärzte wollen und können sich nicht mehr so hoch verschulden. Gleichzeitig nehmen die Ansprüche an eine gute Work-Life-Balance zu, ebenso die Nachfrage nach Angestelltenverhältnis und Teilzeitmodellen. Die befragten Fachbeiräte erwähnen in diesem Zusammenhang die DeRaG als attraktive Alternative, da junge Radiologen zwar angestellt werden, ihre Mitbestimmung und ihre Mitsprachemöglichkeiten aber grundsätzlich erhalten bleiben können.
Ergebnisse des Themenblocks Organisatorisch
Der Wettbewerb um Fachkräfte nimmt weiter zu. Der Zeitaufwand für nicht-medizinische Themen steigt.
Neben MTRA und MFA kommt je nach Aufgabengebiet immer öfter auch Personal aus anderen Bereichen in radiologischen Praxen zum Einsatz, beispielsweise Personen aus dem Dienstleistungsgewerbe bei der Anmeldung. Dies wird weiter zunehmen.
Praxen werden weiterhin kontinuierlich versuchen müssen, ihre Arbeitgeber-Attraktivität zu steigern, zum Beispiel durch Teilzeitmodelle, Homeoffice-Möglichkeiten, fachliche Weiterbildungsangebote und Qualifikationsangebote im Bereich Praxismanagement/Betriebswirtschaft.
Die Praxispartner selbst müssen sich neben ihrer ärztlichen Tätigkeit immer mehr mit organisatorischen Themen beschäftigten. Dies erfordert eine Aufgabenteilung.
Wir bedanken uns bei den Fachbeiräten herzlich für die Zeit und den Input. Die entworfene Zukunftsskizze dient als die Basis für alle Netzmitglieder und wird bis zum Radiologentag weiter geschärft. Bringen Sie sich ein, nehmen Sie Stellung, stellen auch Sie sich für ein Interview zur Verfügung oder kommentieren Sie diesen Beitrag auf curacompact.de. Lassen Sie uns die „Schwarmintelligenz“ des Radiologienetzes gemeinsam nutzen.
Ihre Ansprechpartner:
Dr. Michael Kreft
Eva Jugel