Personalengpässe bewältigen durch Remote Scanning?

Im April haben die Conradia-Praxen in Berlin, Hamburg und München begonnen, neue Möglichkeiten im Bereich Tele-Imaging zu erproben. Anlass ist das Dauerproblem knapper MTRA-Ressourcen. Ein Bericht zu ersten Erfahrungen und Nutzen für Radiologienetz-Praxen.

Der Personalmangel an MTRA über Jahre hinweg sowie auch zunehmende Spezialisierungen und gefragtes technisches Know-how bei Untersuchungen am MRT sind Argumente für den Einsatz von Tele-Imaging.

Neben anderen bietet Siemens Healthineers eine technische Lösung, die seit Kurzem in den Conradia-MVZ im Einsatz ist. MTRA können über ein virtuelles Cockpit ortsunabhängig mehrere Scanner aus der Ferne steuern und die vor Ort anwesenden Kolleginnen oder Kollegen unterstützen. Erste Praxistests ergeben, dass bis zu drei MRT-Geräte gleichzeitig über eine sichere Netzwerkverbindung eingestellt werden können. Die/der steuernde MTRA steht während einer Untersuchung per Textchat oder Audioverbindung und über Kameras mit Live-Videos in ständiger Verbindung mit Kolleginnen bzw. Kollegen, die vor Ort die Patienten an den Modalitäten versorgen. Das soll die Produktivität durch interne fachliche Unterstützung steigern und die Ressourcen schonen – Argumente, welche auch bei Conradia ausschlaggebend waren, das virtuelle Cockpit aufzubauen. Gehäufte personelle Ausfälle wie gerade in der Corona-Zeit können so aufgefangen werden, die radiologischen Untersuchungen können vor Ort geplant werden und stattfinden.

Im ersten Schritt wird Conradia Hamburg von den MVZ in Berlin unterstützt. „Gerade in Hamburg haben wir zurzeit einen echten MTRA-Mangel durch den Weggang und Ausfall mehrerer Kolleginnen und Kollegen. Hier versuchen wir nun, uns durch MTRA-Support aus Berlin remote unterstützen zu lassen, was uns kurzfristig hilft, bis wir die Personalressourcen wieder aufgebaut haben“, sagt Yvonne Scholz, die als kaufmännische Leitung in Hamburg das Personal für acht Standorte managt. Dass diese Unterstützung aus der Ferne natürlich nicht gleich nahtlos die MTRA vor Ort ersetzt, ist auch klar. „Wir müssen unsere Workflows noch weiter standardisieren“, führt Yvonne Scholz aus und meint damit die gesamte Palette der Qualitätsstandards rund um die Untersuchung, wie zum Beispiel auch die Lagerung der Patienten durch das Personal vor Ort. „Und wir müssen die Workflows und Untersuchungen über die Conradia-Standorte, die sich am Tele-Imaging-Projekt beteiligen, koordinieren, damit vor Ort nichts ins Stocken gerät, wenn die oder der MTRA aus der Ferne drei MRT-Geräte gleichzeitig steuert.“

Dies wiederum hat natürlich noch weitreichendere Konsequenzen. Wieviel ist leistbar, wie wird das künftig (mehr?) vergütet, gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, aber auch zwischen den Standorten. Ist das eine langfristige Möglichkeit an Standorten mit temporären Überkapazitäten, die Ressourcen anderen Standorten zur Verfügung zu stellen und damit am Ende Personal einzusparen? So wird die Conradia München ihre eigenen Standorte mit Tele-Imaging bedienen können. Viele der offenen Punkte werden gerade geklärt, der Prozess ist in vollem Gange!

In der ersten Pilotphase wird auch technisch noch allerhand ausprobiert und getestet, zum Beispiel, ob der Austausch über Headsets (kabelgebunden/kabellos) oder über Konferenzlautsprecher besser funktioniert. Stehen mehrere Scanner nebeneinander oder klassisch Rücken an Rücken, so haben Headsets Vorteile für die Fernsteuerung. Das Personal am Gerät vor Ort (im Fachjargon Modality Client/Patienten-Manager) muss in der Lautstärke seiner Stimme allerdings auch andere Kollegen im direkten Umfeld berücksichtigen, damit alle konzentriert arbeiten können. Steht der Scanner allein, so haben Konferenzlautsprecher den Vorteil, dass die Kommandos auch am Patienten besser gehört werden.

Welchen Nutzen bringt das Scannen aus der Ferne?

Das Scannen aus der Ferne hat verschiedene Nutzenelemente, die jetzt konkret im Pilotprojekt durch die teilnehmenden Conradia-Mitarbeiter:innen verifiziert werden müssen:

  • Einarbeitung neuer oder an der Modalität noch unerfahrener Kolleg:innen
  • Wissenstransfer innerhalb der Teams, auch durch Gruppenchat im System
  • Support durch besonders spezialisierte und qualifizierte MTRA (z.B. bei Herz- oder Prostata-Untersuchungen)
  • Flexiblere Personalplanung als bisher
  • Möglichkeit zum dezentralen Arbeiten mit Remote-Zugriff auf den Scanner
  • Ermöglichung von Spezialistenkarrieren (entweder am Scanner oder am Patienten)
  • Erleichterung des Wiedereinstiegs nach einer Jobpause durch flexible Planung und Möglichkeit zum dezentralen Arbeiten
  • Kompensation spontaner Ausfälle durch bspw. Krankheit oder dünn besetzte Schichten
  • Zuverlässige Patientenversorgung vor Ort

Konkret wird derzeit die Fernunterstützung in der Conradia stundenweise für Standarduntersuchungen und in 15-Minuten-Power-Slots auf Herz und Nieren getestet. Während das MRT aus der Ferne gesteuert wird, kann bereits der nächste  Patient oder die Patientin vorbereitet werden. Dieses Vorgehen führt sowohl zu einer Entlastung des Modality Clients/Patientenmanagers als auch zu einer höheren Produktivität.

Eine große Herausforderung des neuen Systems ist der nicht zu vernachlässigende Kommunikationsaufwand. Augenscheinlich müssen Modality Client/Patientenmanager und Fernsteuerungs-MTRA (im Fachjargon Steering Client) sich gut und fortlaufend austauschen, ihre Kommandos abstimmen und sich gegenseitig vertrauen. Wie bei allen neu eingeführten Prozessen ist der Abstimmungsaufwand in der Einführungsphase höher und spielt sich erst nach und nach ein.

Die Einführung eines virtuellen Cockpit-Systems muss von Anfang an gut vorbereitet werden. Welche technischen Installationen werden wann und wie vorgenommen und später genutzt? Das eingesetzte System wird unter Nutzung von zwei IP-Kameras betrieben, die zum einen den oder die Patient zeigen und zum anderen den Monitor des KM-Injektors. Das war im Pilotprojekt zumindest auf den ersten Blick etwas befremdlich für die Akteure vor Ort. Boris Kögler und Christin Harms aus dem DeRaTek-Team reisten im April an die MVZ-Standorte, um in Vor-Ort-Workshops alle Beteiligten über das Pilotprojekt ausführlich zu informieren und ins Boot zu holen: „Wir wollten mit den Workshops den Start des Pilots erleichtern, die Akzeptanz erhöhen und ausloten, in welchen Rollen sich die MTRA künftig gerne sehen würden: nur vor Ort am Patienten, vorwiegend in der Fernsteuerung der Scanner oder sowohl/als auch“, berichtet Boris Kögler und präsentiert das Ergebnis einer Abfrage in den Workshops: Die meisten MTRA sind entweder sehr festgelegt auf 100% Steuerung oder 100% Lagerung oder sie wünschen ein ausgewogenes Mittel zwischen beiden. Wer sich für die Steuerung entscheidet, möchte bis auf wenige Ausnahmen mindestens die Hälfte der Zeit in dieser Tätigkeit verbringen. „Das Ganze ist auf jeden Fall künftig auch eine Herausforderung für die Dienstplanung“, sagt Yvonne Scholz, die die Hürde in Kauf nimmt, weil sie hofft, ihre Personalengpässe auf Dauer durch dieses Projekt besser in den Griff zu bekommen.

Natürlich muss auch der oder die Datenschutzbeauftragte bereits im Pilotprojekt und zudem später in den Implementierungsprozess involviert werden, insbesondere bei den Themen der Übertragung von Patientendaten außerhalb eines MVZ und der Kamera-Installation im Untersuchungsbereich.

Der verantwortliche Curagita-Prokurist Frank Vogel ist bisher mit dem Ablauf des Projekts sehr zufrieden und zuversichtlich, dass – in welcher Konstellation auch immer – das Thema Tele-Imaging im Sinne der Fernsteuerung von Großgeräten durch MTRA an einem anderen Ort viel Zukunftspotenzial bietet. „Das kann für die Conradia auf Dauer eine super Sache sein, indem wir über die MVZ-Standorte hinweg fehlende Personalressourcen vor Ort kompensieren. Es kann aber auch im Radiologienetz das Thema „netzeigener MTRA-Pool“, das in den vergangenen Jahren mehrfach von Netzmitgliedern auf die Agenda gebracht wurde, konstruktiv und innovativ beleben“, sagt er. Dabei konstatiert er nüchtern: „Es handelt sich um ein Pilot-Projekt. Die Investitionsrechnung ist noch nicht abgeschlossen, weil es noch offene Punkte gibt. Auch die nicht unerheblichen Listenpreise von Siemens gilt es noch zu verhandeln. Wir sind zuversichtlich, bald ein konkretes Preismodell mit Konditionen auch für interessierte Netzpraxen vorlegen können. Momentan sprechen wir hier von Installationskosten im niedrigen Tausend-Euro-Bereich pro MRT plus Lizenzgebühren von maximal 20 Euro pro Stunde (alles netto). Dazu kommt natürlich noch ein MVZ-Verrechnungspreis für die Remote-MTRA-Dienstleistung.“

Spätestens nach den Diskussionen des Themas auf den Vollversammlungen kann ein erstes Resümee gezogen werden, wie groß das Interesse im Netz ist, was natürlich Auswirkungen auf die Verhandlungsmacht haben wird.


Ihr Ansprechpartner

Frank Vogel

fvocuragita.com

 

 

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