Nichts Neues zum Thema KI? Warum KI-Anwendungen in der radiologischen Praxis noch nicht angekommen sind...

Am 100. Röntgenkongress der Deutschen Röntgengesellschaft vergangenes Jahr in Leipzig setzte man sie als einen der Themenschwerpunkte auf die Agenda: Radiologie 4.0 – genauer gesagt KI als Werkzeug in der radiologischen Diagnostik. Prof. Michael Forsting, einer der Kongresspräsidenten, bezog eine klare Position und Sichtweise auf die KI-Entwicklung auf dem Fachgebiet der Radiologie. Man sprach von Beginn, von Initiativen unter der radiologischen Ärzteschaft, welche mit der bildgebenden Forschung gemeinsame Sache machen soll, damit intelligente Diagnostik die Befundungsarbeit vereinfachen kann.

Trotz des Hypes vom letzten Jahr, scheint das Thema weiterhin zwar auf der Forschungsagenda zu stehen. Bis auf wenige Ausnahmen ist die intelligente Bildgebung in der Routine von Praxen und Kliniken noch nicht über die Pilotphasen hinausgehend angekommen. Zwar steckt heute immer mehr Intelligenz in der gesamten IT-Struktur und in allen Geräten, die Abläufe automatisieren, überwachen und den radiologischen Praxisalltag vereinfachen. Aber das Thema KI geht ja darüber hinaus. Im Zentrum steht die Entwicklung von Algorithmen, welche in der Lage sind, auf Basis großer Datensätze zu lernen. Ähnlich wie bei einem Radiologen, der sich auf eine Teildisziplin spezialisiert und viele Fälle dazu bearbeitet, lernen Algorithmen, Muster zu erkennen, beispielsweise in einer Mammografie. Nach und nach eignet sich der Algorithmus an, wie sich ein Mammakarzinom darstellt und kann dank des Backups einer selbst erlernten Mustererkennung neu hinzukommende Bilder bewerten. Der Lernprozess beinhaltet laut Prof. Forsting etwa 1000 Bilder. Dann hat der Algorithmus eine verlässliche Mustererkennung aufgebaut. Hierfür werden hochwertige, annotierte Daten benötigt. 

1. Herausforderung „Qualitative Datenbasis“

Dass die Beschaffung eine Herausforderung ist, hat auch die Radiological Socienty of North America (RSNA) erkannt. Kma Online berichtet über eine jährlich ausgelobte KI Challenge unter Wissenschaftlern, bei welcher es darum ginge, „Anwendungen zu entwickeln, die eine definierte Aufgabe nach festgelegten Leistungskriterien erfüllen. Jedes Jahr werden Tausende von Ergebnissen gesammelt, kommentiert und in Datensätze umgewandelt. Radiologen und Data Scientists stehen dann vor der Herausforderung, KI-basierte Algorithmen zu entwickeln, um eine spezifische Anomalie innerhalb dieser Datensätze zu erkennen. Nach dem Wettbewerb werden die leistungsfähigsten Algorithmen der Community als Open-Source-Code zur Verfügung gestellt.“ Kma Online berichtet weiter, dass Unternehmen in Deutschland sich immer noch schwertäten, der Forschung die benötigte Datenbasis bereitzustellen. Kooperationen mit Universitätskliniken stünden dabei hoch im Kurs.

2. Herausforderung „Schnittstellen“

Parallel dazu geben Anbieter wie Philips und Siemens Healthineers an, ihre Hausaufgaben nach eigenen Angaben bereits gemacht zu haben. Philips entwickelt die IntelliSpace AI Workflow Suite, um KI-Anwendungen in klinische Workflows einzubinden. Die Ergebnisse der intelligenten Diagnostik würden in strukturierter Form bereitgestellt inklusive Routing klinischer Daten an die eingesetzte KI-Anwendung, damit der gesamte Datentransfer automatisiert erfolgen kann.

Siemens Healthineers bietet derweil zwei auf Künstlicher Intelligenz basierende Software-Assistenten an, die Radiologen bei MRT-Untersuchungen des Gehirns und der Prostata von Routinetätigkeiten entlasten sollen. Die Assistenten segmentieren automatisch das jeweilige Untersuchungsareal auf MRT-Bildern. Der Assistent übernimmt Volumenmessungen des Gehirns und verweist auf Normabweichungen, die Neurologen für Diagnostik und Therapie nutzen können. AI-Rad Companion Prostate MR segmentiert die äußere Kontur der Prostata auf MRT-Bildern automatisch. Durch die Markierung von Läsionen wird eine gezielte Prostatabiopsie erleichtert. Die beiden neuen Anwendungen sind laut Hersteller auf MRT-Scannern verschiedener Hersteller einsetzbar.

Die allermeisten, von Herstellern angebotenen Systeme gelten aktuell wohl in der breiten Praxis als unerprobt. Die Einbindung in den radiologischen Praxisalltag– insbesondere die Einbettung in die vorhandene IT-Infrastruktur einer radiologischen Praxis – stellt sich als Herkulesaufgabe für alle Beteiligten dar.

3. Herausforderung Diagnosequalität

Der renommierte Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar verwies auf dem 100. Röko im vergangenen Jahr auf die Mitwirkungspflicht der Fachmediziner: „Spannend ist etwa, dass ein Großteil der Radiologen die zugrunde liegende Technik, also die algorithmischen Systeme, nicht im Detail versteht. Das heißt, im Moment bauen oftmals Software-Ingenieure und Datenwissenschaftler solche Systeme. Denen fehlt aber genau das, was Radiologen haben, nämlich der Kontakt zu den Patienten, ein echtes Verständnis der Fachdisziplin und das notwendige medizinische Hintergrundwissen.“ Er mahnte, die technische Entwicklung nicht allein fachfremden Wissenschaftlern zu überlassen und vielmehr sich aktiv einzubringen, damit auch Feinheiten und Besonderheiten des Fachs in die automatisierte Diagnostik Eingang fänden. Schließlich seien die Konsequenzen eines Diagnosefehlers fundamental.

Wenn Forschungsunternehmen und Gerätehersteller bereit sind, an KI-Lösungen für die radiologische Bildgebung zu arbeiten: Weshalb stockt der Prozess bislang? Ist es die Angst unter Ärzten, ihren Job an künstliche Intelligenz zu verlieren? Oder bremsen sich Europa mit strikten Datenschutzregelungen aus, an brauchbare Datenmengen für die Trainings der Algorithmen zu gelangen? Es gibt weitere wesentliche Gründe.

4. Herausforderung „strukturierte Befundung“

Radiologen erstellen selbst innerhalb einer Gemeinschaftspraxis Untersuchungsprotokolle wie auch Befundungsstrukturen/-texte weitestgehend individuell und wenig standardisiert. Das Befunden mittels künstlicher Intelligenz basiert auf gleichartigen Befundungsprozessen. Ein allgemeinverbindlicher Standard steht noch aus. Beleuchtet man diesen Zustand etwas genauer, kann man viele Gründe dafür finden: Die zunehmenden Pflichten des radiolgischen Berufsalltags –Dosismanagement, Datenschutzauflagen, Anschluss an die Telematik oder auch als Beispiel hier genannt die Übermittlung von Befunden an Zuweiser auf neuen Wegen und nur noch mittels elektronischem Arztausweis, halten Radiologen zeitlich so auf, dass interessante strategische Themen wie Standardisierung/Einsatz von KI keinen Platz finden.

Wächst das allgemeine Bewusstsein dafür auch zunehmend in der Ärzteschaft, gehört es dennoch im Jahr 2020 noch nicht zum radiologischen Praxisalltag. Die Fachgesellschaft hat damit begonnen, medizinische Befundungspfade in den einzelnen Arbeitsgruppen zu konsentieren – ein langer Prozess.

5. Herausforderung „hohe Investitionen“

Nachdem mit der neuen EBM-Reform die Daumenschrauben in der Vergütung zum Nachteil der Radiologen fester gedreht werden, stehen Praxiseigentümer wirtschaftlich stärker unter Druck. Eine vielleicht langfristig sinnvolle und kostengünstigere KI-Investition wird ohne Best Practice-Beispiele aus dem radiologischen Alltag bei vielen kein Thema sein. Dazu kommt in diesem Jahr die Corona-Pandemie. Der Fokus lag und liegt auf Krisenmanagement, ehe man wieder über KI nachdenken kann.

6. Herausforderung „Existenzsorge“

Prof. Forsting ist davon überzeugt, „dass die Angst der Radiologen vor einer Abschaffung der Radiologie völlig irrational ist. Das Gegenteil ist der Fall. Wir werden noch besser.“ Die KI wird als Software in Untersuchungsgeräten verbaut sein und als Werkzeug durch den Radiologen eingesetzt. Er wird schneller und besser befunden können zur Zufriedenheit der Patienten als auch seiner eigenen. Vergleiche zieht er zu einem Flugzeugpiloten. Dieser wurde eben nicht abgeschafft, nachdem der Autopilot erfunden und ins Cockpit eingebaut war. Schließlich sei es nötig, einen Plausibilitätscheck durch Menschenverstand durchzuführen. Erst recht in der medizinischen Diagnostik. Andererseits sei die radiologische Bildgebung ein Bereich, in welchem Künstliche Intelligenz verlässlicher diagnostizieren könne als im Umfeld der sprechenden Medizin. Was das MRT oder das CT zeigen, ist die Grundlage für den Befund. Bei Symptomen mit vielerlei Ursachen wie zum Beispiel Husten gäbe es keine eindeutige Verortung der Krankheit.

Prof. Dr. med Thomas Henzler, Conradia Radiologie München

Dieser Beitrag entstand in enger Kooperation mit Prof. Dr. Thomas Henzler. Was ist Ihre Meinung zu diesem Thema? Schreiben Sie uns gern einen Kommentar an netzmanagementcuragita.de.

Quellen:

www.kma-online.de/aktuelles/medizintechnik/detail/algorithmen-bewegen-die-radiologie-a-42668

www.drg.de/de-DE/5327/kuenstliche-intelligenz/

www.thieme-connect.de/products/ejournals/html/10.1055/a-0808-7836