Kompromittierung durch additive Cerclagen. Ist der N. radialis in der operativen Versorgung der Humerusschaftfraktur in Gefahr?
Der Unfallchirurg, Vol. 124, April 2021, S. 167-193
F. von der Helm et al., Augsburg
Humerusschaftfrakturen werden wegen des demographischen Wandels deutlich zunehmen. Zzt. werden sie mit einer Häufigkeit von 1%-3% aller Frakturen angegeben. Neben Marknagel- und Plattenosteosynthese kommen für die Versorgung von Spiralfrakturen auch Draht-Cerclagen in Betracht. Unter Durchleuchtungskontrolle wurden bei 102 Patienten 193 Cerclagen eingesetzt. In vier Fällen (3,9%) ergaben sich iatrogene Nervenläsionen. zwei heilten nach sechs Monaten spontan aus. Zwei Patienten verstarben nach 12 Monaten.
Humerusschaftfrakturen werden mit einer Häufigkeit von 1%-3% aller Frakturen angegeben. Die Häufigkeitsgipfel liegen zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr und jenseits des 60. Lebensjahres. Wegen des demographischen Wandels wird sich die Inzidenz in Zukunft um ein Vielfaches erhöhen, sodass dem Management dieser Frakturart eine große Bedeutung zukommt. Marknagel- und Plattenosteosynthese konkurrieren miteinander. Für eine zusätzliche Stabilität können Cerclagen sorgen, da biomechanisch die Osteosynthese weniger durch axiale, als vorwiegend durch Rotationskräfte belastet wird.
In der vorliegenden Studie sollte eruiert werden, ob additive Cerclagen eine erhöhte Rate von sekundären Radialisläsionen zur Folge haben. Es wurden insgesamt 102 Patienten retrospektiv ausgewertet, wobei es sich in vier Fällen um eine periimplantäre Fraktur handelte. Bei den übrigen Fällen handelte es sich um 41 Männer (42%) und 57 Frauen (58%) mit einem Durchschnittsalter von 69 Jahren (28-93 Jahre). Bei 22 Patienten war Alkohol die Sturzursache.
Bei 53 Patienten (52%) lag die Fraktur rechts, bei 49 Patienten (48%) links. Bei 72 Patienten (71%) erfolgte die OP innerhalb von 24 Std. Bei 56 Patienten fand sich die Fraktur im mittleren, bei 32 im proximalen und zweimal im distalen Drittel. 12 Frakturen lagen am Übergang vom proximalen zum mittleren Drittel. Die antegrade Marknagelosteosynthese mit additiver Cerclage wurde standardmäßig mit intraoperativer Durchleuchtung durchgeführt. Während der Operation erfolgten digitale Kontrollen der Nerven.
Es wurden insgesamt 193 Cerclagen eingebracht: 28-mal eine Cerclage, 58-mal zwei Cerclagen, 15-mal drei Cerclagen und einmal vier Cerclagen. Bei 14 Patienten (13,7%) wurde eine N. radialis-Läsion diagnostiziert, bei 10 Patienten (9,8%) lag sie bereits präoperativ vor. In vier Fällen (3,9%) zeigte sich die Läsion postoperativ. Zwei dieser Läsionen erholten sich nach drei bzw. sechs Monaten spontan. Die beiden anderen Patienten starben innerhalb von 12 Monaten. Die neurologischen Untersuchungen ergaben bei den vier Fällen einen Traktionsschaden.
Autor: Prof. Dr. U. Klein