Ist die Terminvergabe von Praxen für GKV-Patienten diskriminierend?
In einem Tagesschau-Bericht kurz vor dem Jahreswechsel wurde die stellvertretende GKV-Chefin Stefanie Stoff-Ahnis mit der Aussage zitiert, die gesetzlich Versicherten würden bei der Terminvergabe gegenüber Privatpatienten diskriminiert, was nicht länger hinzunehmen sei. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sprach davon, dass längere Wartezeiten für Kassenpatienten nicht weiter tragbar seien. Die Diskriminierung müsse schnellstmöglich enden. Dr. Johannes Schmidt-Tophoff schrieb daraufhin einen Leserbrief an die Tagesschau-Redaktion. Darin kritisierte er das öffentlich-rechtliche Medium, die allzu einseitigen Aussagen der zitierten Personen nicht in den Wahlkampf einzuordnen oder zumindest weitere Meinungen bspw. vonseiten anderer politischer Lager eingeholt zu haben. Darüber hinaus lieferte er Argumente, die das aktuelle Handling bei der Terminvergabe in Arztpraxen in einen breiteren Kontext stellen und die Verwendung des Ausdrucks „Diskriminierung“ in diesem Zusammenhang infrage stellen.
Der GKV-Spitzenverband veröffentlichte am 27.12.2024 – einen Tag nach dem Bericht der tagesschau – auf seinem eigenen Online-Portal eine Meldung zur Gleichbehandlung bei der Terminvergabe. Darin war auch zu erfahren, mit welchen Mitteln Stefanie Stoff-Ahnis die Gleichbehandlung herbeizuführen wünscht: „Wir fordern eine gesetzliche Verpflichtung für alle Arztpraxen, freie Termine tagesaktuell einem Onlineportal zur Verfügung zu stellen. Anhand dieses Portals können dann insbesondere auch Krankenkassen Termine für ihre Versicherten vermitteln. Wer echte Gleichbehandlung will, sollte dafür sorgen, dass bei der Terminvergabe nicht mehr danach gefragt werden darf, ob jemand gesetzlich oder privat versichert ist.“ Und weiter: „Wir als Kassen sind mit unseren 75 Millionen Versicherten keine Bittsteller. Die Ärzte sind unsere Vertragspartner und haben den gesetzlichen Auftrag, die medizinische Versorgung unserer Versicherten zu gewährleisten“.
Resonanz in der Ärzteschaft
Natürlich ließen Stellungnahmen und Kommentare aus der Ärzteschaft nicht lange auf sich warten.
Der KBV-Vorsitzende Dr. Andreas Gassen wies die Vorwürfe zurück. Forderungen nach einer „Termingarantie“ nannte er im Folgebericht der tagesschau am 28.12.2024 „populistischen Blödsinn“. Einerseits gäbe es in vielen Hauspraxen Akut-Sprechzeiten, andererseits müsse man bei Fachärzten die Kirche im Dorf lassen, denn im internationalen Vergleich seien die Wartezeiten kurz.
Schon im Herbst 2024 hatten die Terminvergabepläne der Krankenkassen in der Ärzteschaft Kritik ausgelöst. Der GKV-Spitzenverband hatte für eine zentrale Vergabe ambulanter Termine auf Basis eines verbindlichen bundeseinheitlichen und tagesaktuellen Verzeichnisses plädiert, was innerhalb der Ärzteschaft auf breite Ablehnung stieß. Laut Ärzteblatt vom 2. Oktober 2024 übte etwa der Hartmannbund deutliche Kritik. Der Verband appellierte eindringlich an die Regierungsfraktionen, „jeglichen Versuchen zu widerstehen, die Terminvergabe in der ambulanten Versorgung (…) de facto schleichend in eine ‚Kassen-Leistung‘ zu überführen“.
„Wir kämpfen ohnehin schon mit einer sinkenden wirtschaftlichen Attraktivität der selbständigen Berufsausübung in der Niederlassung“, erklärte die stellv. Vorsitzende des Hartmannbundes Lesinski-Schiedat. „Wenn nun auch noch die Reste an Selbstbestimmung und Selbstorganisation der Kolleginnen und Kollegen infrage gestellt werden, indem wir ihnen am Ende des Tages mehr oder weniger fremdgesteuert Patientinnen und Patienten in die Praxen schicken, dann wird die Lust zur Niederlassung weiterhin massiv sinken.“ Man müsse sich fragen, warum sich junge Medizinerinnen und Mediziner für ein wirtschaftliches Risiko in der eigenen Praxis entscheiden sollten, wenn sie „faktisch doch immer mehr zu Angestellten der Kassen würden“.
Währenddessen hält die SPD weiterhin an einer „Termingarantie der Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigung“ nach der Bundestagswahl fest, welche Gassen als „niemals umsetzbar“ bezeichnet, seien doch keine Kapazitäten in den Praxen verfügbar. Natürlich bekamen SPD und GKV-Vertreter Rückenwind aus den Sozialen Medien, in denen das das Thema aufgegriffen und diskutiert wurde, mehrheitlich aus der Sicht der schon rein zahlenmäßig dominierenden GKV-Versicherten.
Aus dem Radiologienetz erhielt Dr. Schmidt-Tophoff für seinen Leserbrief ausnahmslos Zustimmung. So verwies beispielsweise PD Dr. Nils Hackstein aus der Radiologie Gießen auf die Budgetierung, welche die Menge der Leistungen durch die niedergelassenen Ärzte für gesetzlich krankenversicherten Patienten begrenzt. Die Nachfrage überschreite aber die durch das System bereitgestellte Menge ärztlicher Leistungen. Auch Fachbeirat Dr. Klaus Mott schrieb in einer Mail, dass eine regelhafte Minderversorgung von Notfällen in Deutschland sicherlich ausgeschlossen werden kann. Außerdem würde ja bereits seit längerem durch die Hausarztvermittlungsfälle der Situation der vermeintlich langen Wartezeiten für GKV-Versicherte seitens der KVen entgegengewirkt.
Alle Argumente aus dem Leserbrief und den Rückmeldungen von Netzärztinnen und -ärzten werden gesammelt und fließen in die anstehenden Vergütungsdiskussionen mit ein. In einem Austausch mit der Deutschen Röntgengesellschaft zum Jahresauftakt wurde die Initiative ausdrücklich gut geheißen.
Quellen:
www.tagesschau.de/inland/kassenaerzte-gassen-wartezeiten-100.htmlwww.tagesschau.de/inland/krankenkassen-termine-diskriminierung-100.html
www.aerzteblatt.de/nachrichten/154714/Aerzteschaft-stellt-sich-gegen-Terminvergabeplaene-der-Krankenkassenwww.bundesgesundheitsministerium.de/terminservice-und-versorgungsgesetz.html