Haftungsfalle Honorararztvertrag

Wieder einmal hat sich ein Landessozialgericht zur Sozialversicherungspflicht von Honorarärzten positioniert.

Das Landessozialgericht Nordrhein- Westfalen hat in zwei Parallelentscheidungen die Sozialversicherungspflicht von in einer Klinik tätigen Honorarärzten festgestellt (Urteil vom 16.05.2018, Az.: L 8 R 233/15, BeckRS 2018, 31340 und Urteil vom 09.05.2018, Az.: L 8 R 234/15, BeckRS 2018, 26751, beide nicht rechtskräftig). Die Ärzte hätten auf der Grundlage der Honorarverträge einem arbeitnehmertypischen umfassenden Weisungsrecht hinsichtlich der Arbeitszeit und hinsichtlich der Art und Weise der Arbeit unterlegen.

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen setzt damit die Tradition der Rechtsprechung etlicher anderer Landessozialgerichte fort. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hatte 2015 entschieden, dass „Honorarärzte“, die entsprechend ihrer ärztlichen Ausbildung in den klinischen Alltag eingegliedert sind und einen festen Stundenlohn erhalten, regelmäßig abhängig beschäftigt und damit sozialversicherungspflichtig sind (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil v. 16.12.2015 - L 2 R 516/14).

Hintergrund: Im zugrundeliegenden Fall hatte das klagende Krankenhaus mit einer Gynäkologin einen „Honorararztvertrag“ geschlossen. Die Ärztin sollte für die Dauer von einem Monat Patienten in der Abteilung Gynäkologie und Geburtshilfe betreuen und behandeln. Die Beigeladene sollte nach dem Wortlaut des abgeschlossenen „Honorararztvertrages“ als „Selbstständige“ tätig sein, sich also selbst versichern. Der „Honorararztvertrag“ kam mithilfe einer Onlinevermittlung zustande. Als Stundenlohn waren 60 Euro vereinbart. Die Patienten wurden der Ärztin zugewiesen. Die Behandlung erfolgte entsprechend der Ausbildung selbstständig, das Letztentscheidungsrecht hatte der Chefarzt. Die Gynäkologin arbeitete im Team mit den im Krankenhaus tätigen weiteren Ärzten und dem nichtärztlichen Personal.

Das Landessozialgericht hat in sei- nem Urteil bestätigt, dass die Tätigkeit der beigeladenen Gynäkologin in dem Krankenhaus als abhängige und damit sozialversicherungspflichtige Beschäftigung einzuordnen sei.

Dies ergebe sich vor allem daraus, dass die Ärztin kein Unternehmerrisiko zu tragen habe und im Wege der funktionsgerecht dienenden Teilhabe in den Arbeitsprozess des Krankenhauses eingegliedert sei.

Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung sei § 7 Abs. 1 SGB IV.

Entscheidend sei die Eingliederung in den Betrieb. Dabei sei die jeweilige Tätigkeit zu beurteilen, nach dem der einzelne Dienst angetreten worden sei. Das Bundessozialgericht, auf dessen Entscheidungen die Sozialgerichte in erster Linie schauen, knüpft die „Nichtselbstständigkeit“ – genauso wie das Bundesarbeitsgericht – im Grundsatz daran, ob der Betreffende bei seiner Tätigkeit „in die Organisation des Auftraggebers eingegliedert“ und „persönlich abhängig“ ist.

Die Ärztin habe im Team mit den anderen Mitarbeitern des Krankenhauses gearbeitet. Dass sie, solange der Chefarzt ihr diesbezüglich keine konkreten Vorgaben erteilt hatte, selbst entscheiden konnte, in welcher Reihenfolge sie die ihr jeweils zugewiesenen Patienten behandelte, entspreche dem Ablauf auf Station.

Dabei komme es nicht darauf an, mit welcher Häufigkeit chefärztliche Weisungen tatsächlich erteilt wurden. Etwaige Handlungsspielräume für die Beigeladene, die gegen die jedenfalls funktionsgerecht dienende Eingliederung in den Betrieb der Klägerin sprechen könnten, lägen nicht vor.

Das Gericht stellte weiter fest, dass die Ärztin auch kein unternehmerisches Risiko trage, da sie nicht an Gewinn und Verlust beteiligt sei und im Falle der Insolvenz des Krankenhauses nur das Risiko des entgangenen Stundenlohnes trage. Ein Einsatz eigener Betriebsmittel habe nicht stattgefunden, auch habe die Ärztin keine eigene Betriebsstätte vorweisen können.

Diese Entscheidungen zeigen, dass es für die sog. „Honorar-Vertretungsärzte“, die zeitlich begrenzt personelle Lücken im Krankenhaus schließen sollen, rechtlich kaum noch Spielraum gibt, diese sozialversicherungs- frei zu beschäftigen, da immer weniger Sozial- oder Landessozialgerichte hier vom Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit ausgehen. Dies gilt auch für Praxisstrukturen oder MVZ mit mehreren Ärzten.

Die Formulierungen in den allgemein üblichen Verträgen, dass die Vertragspartner ausdrücklich kein Angestelltenverhältnis begründen wollen, ist zwar als eine Willenserklärung zu verstehen, schafft aber allein keine Rechtssicherheit! Die Folgen für Auftragnehmer und Auftraggeber: Bei Feststellung einer scheinselbstständigen Tätigkeit durch die DRV Bund besteht rückwirkend volle Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung. Die dann als Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu bezeichnenden Vertragspartner sind zu Nachzahlungen der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung und Kranken- bzw. Pflegeversicherung verpflichtet. Während der Arbeitnehmer lediglich bis drei Monate rückwirkend gegenüber dem Arbeitgeber zum Regress der an die DRV abzuführenden Beträge gezwungen ist, trifft es den Auftraggeber in der Regel deutlich härter: Im ungünstigen Fall addieren sich Nachzahlungsforderungen der DRV aus den vergangenen VIER JAH-REN (!) zu erheblichen Summen. Bei zusätzlich arbeitsrechtlicher Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft des ehemals als freien Mitarbeiter beschäftigten Honorararztes hat der Scheinselbstständige ab dem Zeitraum dieser Feststellung alle Rechte eines Arbeitnehmers, inklusive Kündigungsschutz, Urlaubsanspruch sowie Lohnfortzahlungsverpflichtung im Krankheitsfall. Der damit neue Arbeitnehmer hat ein Anrecht auf laufende Nettogehaltszahlungen in der Höhe des bisherigen Honorars. Der sicherere Weg zur Überbrückung personeller Engpässe ist daher eine zeitlich befristete Anstellung des Vertreters.

Beitrag von Rechtsanwältin Gabriele Holz