Gesundheitsökonomie: BMC-Strategiepapier ruft zu mehr Ökonomie im Gesundheitswesen auf
Der Bundesverband Managed Care e.V. (BMC) hat am 14. Juni 2021 ein Strategiepapier „Mehr Ökonomie wagen! Drei Thesen für ein attraktives Gesundheitssystem“ veröffentlicht. Ökonomische Ansätze seien richtungweisend bei der Bewältigung der aktuellen Herausforderungen des Gesundheitswesens, erklärt der BMC. Sie ermöglichten darüber hinaus den Interessen von Patientinnen und Patienten sowie der Beschäftigten besser gerecht zu werden. Einfluss auf den Entstehungsprozess der Thesen hatte auch die Covid-19-Pandemie: „Die Covid-19-Pandemie hat das Potenzial, die Verhaftung der Akteure in tradierten Strukturen und Denkmustern zu lösen. Denn schon jetzt zeichnet sich ab, dass ihre ökonomischen Auswirkungen zu einer Verknappung der finanziellen Ressourcen im Gesundheitswesen führen und die Politik unter Handlungsdruck setzen“, heißt es in dem Papier.
„Wenn die ökonomischen Auswirkungen der Pandemie die Einnahmensituation des Solidarsystems verschlechtern, was sind dann die zentralen Werte, an denen wir die Gestaltung unserer Gesundheitsversorgung ausrichten?“, fragt Prof. Dr. Volker Amelung, Vorstandsvorsitzender des BMC. Diese Diskussion sei in den letzten Jahren zu kurz gekommen und solle mit dem Strategiepapier neu forciert werden. Fragen zu Effektivität, Effizienzreserven, Allokation, Priorisierung etc. seien zwar in Gesundheitssystemen tief verankert, jedoch nicht stringent an der Produktion von mehr Gesundheit ausgerichtet. „Ökonomie wird nicht nur im Gesundheitswesen häufig als Ökonomisierung missverstanden und verteufelt. Sinnvoll ausgerichtet kann Ökonomie aber wichtige Anreize für eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung liefern“, so Prof. Dr. Volker Amelung. Konkret gehe es dabei unter anderem um die konsequente Nutzung von Daten für mehr Qualitätstransparenz, mehr Handlungsspielräume sowie die Berücksichtigung von Lebensrealitäten bei der Konzeption von Versorgungsprogrammen. Ökonomische Ansätze könnten Impulse liefern, die es zur Gestaltung eines attraktiven Gesundheitswesens brauche. Gleichzeitig dürften solidarische Prinzipien aber nicht zur Disposition gestellt werden.
In dem Strategiepapier werden drei Thesen vertreten:
- Messen, Vergleichen und Nutzen von Daten fördert die Qualität:Neben der aktuellen, eher technisch geprägten Debatte zur Digitalisierung ist die digitale Transformation vor allem ein sozialer Prozess, der die Beziehungen zwischen den Akteuren maßgeblich verändern wird und die Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger gewährleisten muss. Sie ermöglicht die konsequente Nutzung von Daten und maschinellem Lernen, individualisierte Versorgungslösungen und einen zielgerichteten Einsatz der Ressourcen im Gesundheitswesen. Dazu muss es gelingen, Daten aus verschiedenen Lebensbereichen – eine opt-out-Möglichkeit der Betroffenen vorausgesetzt – zusammenzuführen, zu analysieren und daraus entsprechende Angebote abzuleiten. Ökonomie schafft Transparenz und befähigt zu informierten Wahlentscheidungen, etwa durch die Erhebung und Veröffentlichung aufbereiteter Versorgungsdaten zu Leistungserbringern und sektorenübergreifenden Behandlungsverläufen, den Einsatz von Real World Evidence für mehr Wissen über Gesundheitstechnologien und die Erhebung und Veröffentlichung von Kennzahlen über Krankenkassen und -versicherungen.
- Innovationen brauchen Handlungsspielräume und Leitplanken: Gerade vor dem Hintergrund, dass Leistungserbringende sich vermehrt unternehmerisch zusammenschließen (u.a. Ärztenetze, MVZ, Laborunternehmen) und immer mehr Ärztinnen und Ärzte kollegiale Strukturen einer Selbstständigkeit vorziehen, sollte eine Diversifikation von Versorgungsstrukturen begrüßt und gestärkt werden. Innovatives Handeln und Investitionen müssen belohnt, nicht mit überbordender Bürokratie bestraft werden. Ökonomie setzt auf den Abbau von Barrieren und Spielräumen als Stimuli, etwa durch die Verankerung von verlässlichen Leitplanken, die Förderung von unternehmerischem Handeln und die kontinuierliche Strukturbereinigung mit Marktzugang und Marktaustritt.
- Veränderungen müssen vom Menschen her gedacht werden: Vielfältige individuelle und soziale Faktoren beeinflussen das Verhalten, sodass Menschen eben nicht immer wirtschaftlich zweckmäßig handeln und in diesem Sinne die besten Entscheidungen für ihre Gesundheit treffen. Gleiches gilt für die Zusammenarbeit von Leistungserbringern und anderen Akteuren des Gesundheitswesens, die nicht in allen Fällen durch die Produktion von mehr Gesundheit geleitet wird. Die starke Fragmentierung des Gesundheitswesens, tradierte Strukturen sowie die Finanzierungslogik stehen der bestmöglichen Gesundheitsversorgung oftmals im Weg. Verhaltensökonomische Ansätze erzielen große Wirkungen, etwa durch Versorgungsmodelle, die sich an den Lebensrealitäten orientieren, die Förderung der Übernahme von Verantwortung für die Gesundheit von Patienten und das Honorieren von Qualität.