Früherkennung von Lungenkrebs: ein Screeningprogramm für Europa? – Interview mit Prof. Dr. Thomas Henzler

Ein internationales Expertengremium, welches sich mit der Qualität von Lungenkrebs-Früherkennung beschäftigt, hat die europäische Position für Lungenkrebsscreening ausgearbeitet. Wir haben mit Prof. Dr. Thomas Henzler, Geschäftsführer der Diagnostik München und deutscher Vertreter unter den Experten, darüber gesprochen.

Welche medizinische Bedeutung hat Lungenkrebsscreening?

Prof. Henzler: Lungenkrebsscreening hat ein immenses Potential, die Sterblichkeit von Lungenkrebs drastisch zu reduzieren. Dies ist insbesondere von zentraler Bedeutung, da Lungenkrebs immer noch die mit Abstand am häufigsten zum Tode führende Krebserkrankung ist. Im Gegensatz zu anderen Krebserkrankungen ist ein durchschlagender therapeutischer Erfolg trotz neuartiger Therapieformen, wie beispielsweise der Immuntherapie, nicht erkennbar.

Ein Lungenkrebsscreening mit Hilfe der nativen low dose CT des Thorax hat die Chance, die Sterblichkeit von Lungenkrebs um ca. 20 % zu reduzieren. Der Erfolg der Methodik liegt an der Erkennung von Tumoren in einem nicht metastasierten Anfangsstadium. Dies sehen wir aus den Daten der bereits abgeschlossenen und laufenden Screening-Studien, in welchen der Großteil der Tumoren in der Lunge T1-Tumoren entsprechen.

Welche Rolle spielt das Thema Lungenkrebsscreening aktuell in Deutschland?

Prof. Henzler: Im Moment gibt es leider noch keine deutsche Empfehlung zur Durchführung eines Lungenkrebsscreenings. In diesem Bereich liegt Deutschland, aber auch ganz Europa, derzeit hinter den USA zurück. In den USA gibt es eine eindeutige Empfehlung für das Lungenkrebsscreening durch die U.S. Preventive Services Task Force (USPSTF) und auch die Kosten werden hierfür übernommen. Deutschland steckt, was das Lungenkrebsscreening angeht, damit leider noch in den Kinderschuhen. Aus meiner Sicht ist es daher besonders wichtig, dass sich Radiologen mit der Thematik auseinandersetzen und eine führende Treiberrolle übernehmen. Es ist doch faszinierend, dass eine unserer radiologischen Techniken eine derart wichtige Rolle zur Reduzierung der Sterblichkeit bei der tödlichsten Krebserkrankung der Welt einnehmen kann. Mein Ziel ist es daher, die Thematik in der deutschen Radiologie stärker auf die Agenda zu setzten. Als Radiologienetz haben wir die Chance, dabei eine führende Rolle zu übernehmen.

Worin bestehen die Herausforderungen beim Lungenkrebsscreening?

Prof. Henzler: Bei den Herausforderungen muss man zwischen organisatorischen und medizinischen Herausforderungen unterscheiden. Organisatorisch besteht die Herausforderung darin, mit den Kostenträgern ein Programm zu entwickeln. Dabei ist es wichtig, dass die Kosten übernommen und die Risikopatienten auch erreicht werden. Im Gegensatz zum Mammographiescreening wird dies aus meiner Sicht jedoch deutlich schwieriger, da die gesellschaftliche Bereitschaft, Kosten für Raucher zu übernehmen, zum Teil sehr gering ist. Dies ist aus meiner Sicht jedoch eine falsche Sichtweise, da gesundheitsökonomisch die Folgekosten bei Lungenkrebs-Patienten sehr hoch sind und die Behandlungskosten die Lungenkrebsscreening- Kosten bei Weitem übersteigen und ja dann auch von den Nichtrauchern getragen werden müssen. Eine gute Aufklärungsarbeit innerhalb der Bevölkerung ist daher notwendig.

Medizinisch besteht die Herausforderung im Umgang mit falschen Positiv-Befunden. Innerhalb der Risikopopulation ist bei ca. jedem zweiten Patienten mit einem Rundherd zu rechnen. Von diesen Rundherden sind allerdings ca. 90 % gutartig. Es ist daher für den Erfolg des Lungenkrebsscreenings entscheidend, die Befunde streng nach festgelegten Kriterien einzuordnen, um unnötige Unsicherheit bei den Patienten zu vermeiden und die Anzahl unnötiger Folgeuntersuchungen zu reduzieren.

Was wird hinsichtlich Lungenkrebsscreening mittels CT kritisiert? Was entgegnen Sie?

Prof. Henzler: Kritiker bemängeln derzeit vorwiegend die hohe Anzahl an Folgeuntersuchungen von gutartigen Befunden. Durch ein strukturiertes Vorgehen bei der Interpretation der Befunde sowie die volumetrische Analyse von Rundherden kann die Anzahl unnötiger Folgeuntersuchungen jedoch massiv reduziert werden.

Wer sollte wann zum Lungenkrebsscreening?

Prof. Henzler: Das ist eine der spannendsten Fragen in den kommenden Jahren. Derzeit liefert eine amerikanische Screening-Studie, die sogenannte NLST-Studie, die besten Daten. Hier wurden Raucher zwischen 55 und 80 Jahren untersucht, welche eine Raucheranamnese von 30 Packungen pro Jahr hatten. Die Daten der niederländischen NELSON-Studie, welche wir im kommenden Jahr erwarten, werden diese Kriterien jedoch noch einmal verändern. Darüber hinaus profitieren in anderen Ländern wie China aufgrund der hohen Luftverschmutzung wahrscheinlich noch deutlich mehr Menschen, auch mit einer geringeren Raucher-Vergangenheit.

Wie erfolgt die Kommunikation mit den Krankenkassen?

Prof. Henzler: Leider gibt es hier noch keine strukturierten Pläne. Aus meiner Sicht sollten Pneumologen gemeinsam mit Radiologen die Verantwortung bei der Kommunikation übernehmen. Von beiden Fachgesellschaften fehlt mir aber bisher die Initiative. Ich hoffe, dass unsere europäisch abgestimmte Veröffentlichung hier den Stein etwas ins Rollen bringen wird. Darüber hinaus sehe ich das Radiologienetz und RaDiagnostiX als wertvolle Instrumente, um besser voranzukommen.

Sie haben mit Experten aus insgesamt acht Ländern das Lancet Policy Review Paper „European position statement on lung cancer screening“ erstellt und vorgelegt. Wie geht es nun weiter?

Prof. Henzler: Zunächst haben wir Aufklärungsarbeit und das Eintreten in einen guten Dialog mit den Kostenträgern auf dem Plan. Nach der Veröffentlichung der NELSON-Studie wird ausreichend Evidenz für das Verfahren bestehen. Kostenträger können durch das Screening sogar Kosten reduzieren, da spätere extrem teure Therapiekosten entfallen werden. Das muss besser dargelegt und kommuniziert werden. Parallel hierzu sollte ein strukturiertes Programm zur Bildakquisition und strukturierten Befundung entwickelt werden.

Gibt es alternative Methoden zum Lungenkrebsscreening?

Prof. Henzler: Aktuell werden eine Reihe von Blut- und Atemtests experimentell getestet. Für diese Verfahren gibt es jedoch noch keine qualitativ hochwertigen Studien, so dass ich die CT derzeit alternativlos sehe.

Vielen Dank für das Interview!

Das PDF der Lancet Oncology-Publikation „European position statement on lung cancer screening“ können Sie hier zur Lektüre laden.

 

Ihr Ansprechpartner:

Prof. Dr. Thomas Henzler

t.henzlerdiagnostik-muenchen.de