Bundessozialgericht zu Sitzübertragungen in MVZs: Ein Urteil mit Folgen

Am 4. Mai dieses Jahres hat das Bundessozialgericht (BSG) ein bemerkenswertes Urteil in Bezug auf eine Sitzverlegung mit anschließender Anstellung in einem MVZ gefällt. Dieses hat weitreichende Folgen für MVZs und ihre Betreiber, aber auch für Sitzabgeber und ihre Praxen.

Das Urteil Das BSG entschied: Ein Arzt, der zu Gunsten einer Anstellung in einem MVZ auf seine Zulassung verzichtet hat, muss grundsätzlich 3 Jahre in diesem MVZ tätig sein, bevor seine Stelle im Zuge einer erneuten Anstellungsgenehmigung durch einen anderen Facharzt wieder besetzt werden kann. Die schrittweise Reduzierung seines Tätigkeitsumfangs um jährlich eine Viertel-Stelle ist dabei laut Gericht unschädlich. Dieses Urteil zielt auf ein beliebtes Vorgehen z. B. bei Einzelpraxen oder kleinen Gemeinschaftspraxen ab: Der Praxisinhaber verlegt seinen (Einzel-)sitz in ein großes MVZ vor Ort und lässt sich dort anstellen. Nach einer Übergangsfrist von zwei bis drei Quartalen scheidet er aus und überlässt den Sitz bzw. die Anstellungsgenehmigung einem Nachfolger, der wiederum selbst als Angestellter tätig wird. Im Gegensatz zum „normalen“ Ausschreibungsverfahren muss der Zulassungsausschuss diesen Übergang genehmigen, wenn Versorgungsgründe dem nicht entgegenstehen. Konkurrierende Bewerbungen um einen Vertragsarztsitz sind damit faktisch ausgeschlossen.

Eine der Bedingungen für die Genehmigungsfähigkeit ist, dass der seinen Sitz einbringende Vertragsarzt auch tatsächlich die Absicht hat, selbst in vollem Umfang im MVZ tätig zu werden. Der Gesetzgeber hat im § 103 SGB V keine Kriterien genannt, an Hand derer diese Absicht konkret nachweisbar ist. Dieser Aufgabe hat sich nun das Bundessozialgericht angenommen und entschieden, dass von einer ernsthaften Absicht erst bei einer persönlichen Weiterbeschäftigung von drei Jahren auszugehen ist.

Darüber hinaus hat das Gericht in seinem Urteil klargestellt, dass wenn der Arzt zwar seinen ganzen Sitz einbringt, selbst aber nur in geringerem Umfang tätig wird (im konkreten Fall im Rahmen einer Dreiviertel-Stelle) die Anstellung auch nur im Rahmen dieses teilweisen Umfangs nachbesetzt werden kann.

Praktische Folgen Das BSG trifft hiermit nicht nur MVZs, sondern in erster Linie abgabewillige Ärzte, die für ihre Einzelpraxis nur schwer einen Nachfolger finden (viele Zulassungsausschüsse fordern bei Übernahme des Sitzes auch die Fortführung der Praxis am angestammten Ort). Für diese wird es nun ungleich schwerer, ihre Praxis in ein MVZ einzubringen und zeitnah auszuscheiden. Für aufnehmende MVZs wird ein „Sitzkauf“ unattraktiver, weil nur noch unter diesen erschwerten Bedingungen möglich. Untersagt ein Zulassungsausschuss dem MVZ aus diesen Gründen die Nachbesetzung, fällt der Vertragsarztsitz – bedarfsplanerische Überversorgung vorausgesetzt – entschädigungslos weg.

Betroffen sind aber auch Betreibermodelle mit Investoren, die sich an Praxen beteiligen, indem sie MVZ gründen und die bisherigen Praxisinhaber anstellen. Scheiden in diesem Fall Senioren aus, ist die Nachbesetzung der Arztstellen stark gefährdet. Ein Umstand, der reinen Private-EquityFirmen mit keiner oder nur geringer Vernetzung im deutschen Gesundheitswesen das Geschäft erschwert.

War die Planung einer erfolgreichen Praxisnachfolge schon bisher ein wichtiges strategisches Thema, so rückt dieses nun noch stärker in den Vordergrund. Bisher war davon auszugehen, dass für die Nachfolgeregelung ein Zeitraum von anderthalb bis zwei Jahren einzuplanen ist. Nach diesem Urteil ist es angebracht, bereits vier Jahre vor einem geplanten Exit mit dem Stellen der Weichen zu beginnen.

Bisher liegt das schriftliche Urteil des BSG noch nicht vor, sondern nur ein sogenannter Terminbericht. Eine umfangreichere Analyse des Urteils kann erst nach Vorliegen der Urteilsbegründung erfolgen. Es ist davon auszugehen, dass sich das Urteil nicht nur auf MVZ, sondern auch auf Berufsausübungsgemeinschaften erstreckt, da die Absätze 4a und 4b zum § 103 SGB V nahezu im gleichen Wortlaut formuliert sind.

Fazit: MVZ als Wettbewerbsvorteil bei der Nachfolge Trotz dieses offenbar einschränkenden Urteils lohnt sich aus unserer Sicht die Beschäftigung mit der Frage, ob Sie Ihre BAG in ein MVZ umwandeln.

Zum einen hat der Gesetzgeber die Gründung von MVZs in den vergangenen Jahren deutlich erleichtert. So muss ein MVZ jetzt nicht mehr fachgruppenübergreifend tätig sein. Theoretisch genügen für die Gründung zwei Ärzte auf einem geteilten Vertragsarztsitz. Darüber hinaus können nun auf zeitweise nicht besetzten Arztstellen Vertreter eingesetzt werden. Auch die Verlegung von Anstellungen von einem in ein anderes MVZ ist nun möglich. Mit dem Konstrukt MVZ können für die jüngere Generation von Radiologen und Nuklearmedizinern interessante Lebens- und Arbeitszeitmodelle gestaltet werden.

Das MVZ erleichtert, Sitze durch Einbringung in die Gesellschaft zu schützen und dauerhaft dem öffentlich-rechtlichen, immer mit einer gewissen Unsicherheit behafteten, Nachbesetzungsverfahren zu entziehen. Stand heute gehen wir davon aus, dass sich die im Artikel beschriebene Drei-Jahres-Frist durch rechtzeitige Umwandlung der Praxis in ein MVZ mit anschließendem Gesellschafterwechsel umgehen lässt.

Ein MVZ erlaubt Flexibilität, da sich Anteilsverkauf und -ankauf durch einen Nachfolger zeitlich trennen lassen. Denkbar ist in Einzelfällen, dass der ausscheidende Senior als Gründungsgesellschafter noch eine Zeit lang den MVZ-Anteil hält und erst später an die anderen Partner verkauft. Käufer dieses Anteils können dann andere Gründungsmitglieder oder die MVZ-GmbH sein.

Auch wenn dieses Urteil auf den ersten Blick ernüchternd wirkt, so regt es zumindest dazu an, die eigene Praxisstrategie nicht nur im Hinblick auf das Ausscheiden einzelner Gesellschafter neu zu hinterfragen. In jedem Fall sollte die Änderung der Rechtsform betriebswirtschaftlich, vertrags- und vertragsarztrechtlich sowie steuerlich beleuchtet werden. Diese BSG-Entscheidung hat Einfluss auf den Praxiswert wie selten ein Urteil zuvor.

Ihr Ansprechpartner:

Carsten Krüger

ckgcuragita.com