Ausweitung des Mammographie-Screenings: Konsequenzen für teilnehmende Praxen
Das Mammographie-Screening in Deutschland ist ein qualitätsgesichertes Programm für Frauen zwischen 50 und 69 Jahren. In Zukunft sollen Frauen bis zu einem Alter von 75 Jahren am Mammographie-Screening teilnehmen können, später dann auch jüngere Frauen ab 45 Jahren. Eine gute Nachricht für die Programmverantwortlichen?
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat im Frühjahr 2021 einen Auftrag zur Überprüfung der Altersgrenzen im Mammographie-Screening-Programm erteilt. In seinem Abschlussbericht findet das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) Anhaltspunkte für einen Nutzen des Mammographie-Screenings auch in den Altersgruppen 45 bis 49 Jahre und 70 bis 75 Jahre. Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) hat inzwischen die Fortführung des Screenings bei Frauen bis zu einem Alter von 74 Jahren für gerechtfertigt eingestuft. Derzeit wird an der Umsetzung der Anhebung der oberen Altersgrenze des Mammographie-Screenings gearbeitet. Zum 27.04.2023 hat der Gemeinsame Bundesausschuss ein Stellungnahmeverfahren zu den entsprechenden Änderungen der Krebsfrüherkennungs-Richtlinie eingeleitet.
Voraussichtlich ab Ende 2023 kann dann die sukzessive Umsetzung dieser Änderung erfolgen, sodass in Zukunft in Deutschland auch Frauen bis zu einem Alter von 75 Jahren am Mammographie-Screening teilnehmen können.
Doch was heißt das genau für die vielen teilnehmenden radiologischen Praxen im Radiologienetz? CuraCompact hat bei einigen programmverantwortlichen Radiologienetzmitgliedern nachgefragt.
Begrüßen Sie, dass künftig zunächst ältere, mittelfristig auch jüngere Frauen vom Mammographie-Screening profitieren?
CCR: Ja definitiv. Die Frauen werden älter und sind länger fit. Das Screening über 70 ist in meinen Augen unerlässlich. Es wurden viele Petitionen eingereicht, damit die Altersgrenze ausgeweitet wird. Auch der Strahlenschutz hat die Ausweitung bereits befürwortet. Für jüngere Frauen hätte ich die Programmausweitung aufgrund der erschwerten Befundung nicht zeitnah erwartet.
MK: Ich befürworte diese Entscheidung. Besonders für Frauen über 70 besteht laut Inzidenz ein erhöhtes Risiko, an Brustkrebs zu erkranken. Bei jüngeren Klientinnen ist ein Screening jedoch komplizierter. Aufgrund einer höheren Brustdichte sind Differenzierungen schwieriger und es besteht ein erhöhtes Risiko für Falschpositiv-Befunde. Da die erwartete Senkung der Brustkrebssterblichkeit der Altersgruppe zwischen 45 bis 50 nach Studienlage in vergleichbarer Größenordnung zur Altersgruppe der 50- bis 69-jährigen Frauen liegt, würden die positiven Effekte der Brustkrebsfrüherkennung gegenüber den Nachteilen überwiegen.
TW: Ja, insbesondere die Ausweitung der Altersgruppen in Stufen begrüße ich, weil der kapazitive und organisatorische Aufwand nur sukzessive erfolgen kann. Aktuell nehmen etwas mehr als 50 Prozent der bisherigen eingeladenen Frauen teil. Es ist absolut begrüßenswert, dass demnächst die Klientinnen bis 75 Jahre weiterhin vom Screening profitieren können. Mit der Ausweitung der Altersgrenze nach oben erwarten wir einen Anstieg der Teilnehmerinnen um circa 20 Prozent.
Was heißt das für die Organisation des Screenings in Ihrer Region, Stichwort Ausbau von Kapazitäten? Welche Rolle kann KI dabei spielen?
MK: In unserem Screening-Zentrum rechnen wir mit bis zu 30 Prozent mehr Teilnehmerinnen. Diesen Zuwachs an Untersuchungsanmeldungen können wir derzeit kapazitativ kaum stemmen. Dafür muss das Personal aufgestockt werden. Um uns an KI zu gewöhnen, planen wir im nächsten Software-Update KI einzuführen. Mittelfristig könnte KI auch möglicherweise einen zweiten Befunder ersetzen. Aber das ist sicher Zukuftsmusik.
CCR: Die vorhandenen Gerätekapazitäten sowie der Mangel an hochausgebildeten Erstellern/-innen für das Screening stellen uns vor Herausforderungen. Die Untersuchung ist eine anstrengende Tätigkeit, die sehr nah an der Patientin erfolgt. Das kann und möchte nicht jeder personalseitig leisten. Auch ich als verantwortliche Ärztin habe nur begrenzte Zeiträume, um Untersuchungstermine anzubieten. Wir werden unsere Öffnungszeiten ausweiten müssen, möglicherweise auf die Samstage. Bei einem ersten Testlauf mit KI-Befundung mussten wir feststellen, dass KI bei uns derzeit für Befundungen nicht eingesetzt werden kann, Stichwort Systemintegration. Da bleiben wir aber dran und hoffen auf Entlastung.
TW: Erste Vorbereitungen haben wir bereits in der Vergangenheit getroffen, denn um die Arbeit mit hoher Qualität im Kontext zum erwarteten Mehraufwand zu erbringen, ist eine adäquate Vorlaufzeit nötig. Der Engpass liegt in der Personalakquise hinsichtlich der Ersteller/-innen. Wir ergreifen deshalb dahingehend alle denkbaren Maßnahmen zur Personalgewinnung. Die Aufrüstung der Geräte dürfte nicht problematisch werden. Ich sehe ebenso kein Problem in der Doppelbefundung, da perspektivisch KI-Lösungen unterstützend bereitstehen. Damit sind allerdings hohe Kosten verbunden, die auf der Honorarseite gegenwärtig nicht abgebildet werden.
Rechnen sich weitere Investitionen in das Mammo-Screening für Ihre Praxis? Wissen Sie schon, wie die Vergütung sich entwickeln wird?
TW: Es ist davon auszugehen, dass sich die weiteren Investitionen in das Mammographie-Screening-Programm im Zuge der Ausweitung der Altersstufen tragen. Insgesamt ist eine entsprechende Anpassung der Vergütungsstruktur an die stetig steigenden Lohn-, Geräte-, Wartungs- und Energiekosten absolut wünschenswert.
CCR: Wie das Angebot angenommen wird, ist derzeit für uns noch nicht absehbar. Wir erwarten ein Plus von 20 Prozent, wenn beide Zielgruppen kommen. Die Vergütung von ärztlicher Seite wird sich voraussichtlich nicht besonders verändern. Ich persönlich fände eine Direktvergütung durch die KV an die Ersteller/-innen sinnvoll, denn dieser monetäre Anreiz könnte den Betrieb weiterhin gewährleisten.
MK: Derzeit sind unsere Räumlichkeiten zu klein. Wir planen einen Umzug sowie Investitionen in Geräte und Personal. Das Mammographie-Screening hat sich bislang gerechnet und das wird es hoffentlich auch in der Zukunft. Wünschenswert wäre in der Tat eine Anpassung der Vergütung an die geänderten Rahmenbedingungen.
Anfänglich war es ja eine Herausforderung, die Teilnahmeberechtigten zu aktivieren. Inzwischen ist das Programm über ein Jahrzehnt etabliert. Sind Sie zufrieden mit den aktuellen Teilnahmequoten?
CCR: In Gesamt-Deutschland belaufen sich die Teilnahmequoten auf 50 Prozent, unsere Einheit liegt im Vergleich dazu im Bundesdurchschnitt, eventuell ein wenig darüber. Eine höhere Quote ist wünschenswert.
MK: Unsere Teilnahmequote liegt bei ca. 52 Prozent. Ich persönlich würde mich freuen, wenn mehr Klientinnen kämen. Es gibt nur wenige medizinische Programme, die eine derartige qualitative Sicherheit und auch Qualitätssicherung bieten wie das Mammographie -Screening-Programm.
TW: Die Teilnahmequote beläuft sich auch bei uns auf knapp über 50 Prozent und dennoch könnte sie insgesamt besser sein. Um das zu erreichen, ist stetige Aufklärungsarbeit notwendig, um das entsprechende Bewusstsein bei den Frauen in der Zielgruppe zu schaffen. Dies geschieht durch die Nachrichten, über Social Media oder auch vor Ort durch gelegentliche Vorträge.
Die „Vermarktung“ über die Kooperationsstelle Mammographie-Screening und die Zentralen Stellen der Länder hat sich in den letzten Jahren professionalisiert. Fühlen Sie sich hier gut unterstützt bei der Ansprache der künftigen Zielgruppen?
MK: Wir fühlen uns gut aufgehoben. Unterstützung erhalten wir derzeit durch Werbung und auch in den Medien ist das Thema präsent. Die Patientinnenansprache wird sich künftig durch die sozialen Medien verändern. Derzeit erfolgt die Terminverlegung über eine zentrale Vergabestelle. Das ließe sich in Zukunft einfacher gestalten.
CCR: Wir betreiben Aufklärungsarbeit und stellen zum Beispiel das Mammographie-Screening auf Messen vor. Viele Menschen sind diesbezüglich sehr aufgeschlossen, aber es gibt weiterhin natürlich auch Gegner. Für Fragen stehen wir jederzeit zur Verfügung. Wir verfügen über ein gutes Marketing- und Werbemanagement sowie eine gute Rechtsberatung. Auch die Zusammenarbeit mit der einladenden Stelle in Baden-Baden funktioniert sehr gut. Zweimal im Jahr besprechen wir vor Ort alle Parameter.
TW: Wir fühlen uns gut betreut. Die gängigen Medien werden umfangreich genutzt und das Thema wird somit immer präsenter.
Screening ist innerhalb der radiologischen Praxis ein Exot mit hoher Spezialisierung und damit auch Konzentration der Beteiligten auf eine Modalität. Wie stellen Sie sicher, dass Sie künftig ausreichend Ärzte und nicht-ärztliches Personal finden, die die hohen Anforderungen des Screenings erfüllen (wollen)?
MK: Wir stehen definitiv vor einer wachsenden Herausforderung. Neue Konzepte müssen erstellt werden, um Personal zu gewinnen und dieses zu halten. Wir bilden selbst aus, nutzen Annoncen, Aushänge in der Praxis, Personalvermittlungen und holen Fachkräfte aus dem Ausland. Es müssten sich aber auch grundlegende Dinge verändern. Beispielsweise darf an einem unserer Erstellerstandorte nur eine MTA arbeiten, da kein Arzt vor Ort ist. Eine MFA würde gerne dort arbeiten, hat dafür aber nicht die Berechtigung. Es wäre ein Ansatz für Verantwortliche auf höchster Ebene, hier etwas zu verändern.
TW: Insgesamt ist die Situation herausfordernd, vordergründig natürlich hinsichtlich der Personalsuche, aber auch hinsichtlich der individuellen Bereitschaft zur entsprechenden Ausbildung, insbesondere im MTR / MFA-Bereich. Der Schlüssel hierzu ist vermutlich nicht ausschließlich in monetären Anreizen zu suchen, sondern auch darin, ein noch größeres und sichtbareres Bewusstsein für die Sinnhaftigkeit der Arbeit im Screening zu schaffen.
CCR: Derzeit kann ich es von nicht-ärztlicher Seite schwer sicherstellen. Wir bilden nach Verfügbarkeit fortlaufend MTA und MFA aus. Von Seiten der befundenden Ärzte sind wir im Moment ausreichend aufgestellt.
Was ist Ihre Prognose für das Mammographie-Screening 2030?
TW: Bis 2030 wird KI als Bestandteil des Mammographie-Screenings fest etabliert sein und die Teilnehmerinnenquote wird steigen. Vielleicht gibt es bis 2030 Ansätze für weitere Methoden, um Brustkrebs diagnostizieren zu können, aber der grundsätzliche Ablauf wird nicht zuletzt aus Gründen der Qualitätssicherung unverändert bleiben.
CCR: Das Programm wird weiterhin etabliert sein. Einige Modifizierungen und Untersuchungsmethoden kommen dazu, unter anderem KI. Grundsätzlich wird sich am Screening aber nichts verändern. Aktuell bieten in der Region immer weniger Praxen eine vollumfängliche Mammographie an. Künftig wird es deshalb mehr Frauen geben, die ins Screening gehen.
MK: In 2030 werden mehr Frauen zwischen 45 und 75 zur Untersuchung kommen. Es wird dann nur noch einen 1. Befunder geben, der 2. Befunder wird von einer KI gesteuert.
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