Weiterhin Übernahme-Boom im deutschen Gesundheitswesen
Das Institut Arbeit und Technik (IAT) an der Westfälischen Hochschule beleuchtete im Februar dieses Jahres das boomende Geschäftsmodell von kapitalstarken privaten Finanzinvestoren im deutschen Gesundheitsmarkt. In einer wissenschaftlichen Studie zu diesem Thema stellte es fest, dass seit dem Jahr 2013 rund 130 Übernahmen von Unternehmen im deutschen Gesundheitssektor stattfanden, 60 Prozent allein in den letzten zwei Jahren. Das Geschäftsmodell basiert darauf Krankenhäuser, Arztpraxen, Pflegeheime und -dienste zu kaufen, diese zu restrukturieren und wieder zu verkaufen.
Das IAT-Forschungsteam mit Dr. Christoph Scheuplein, Michaela Evans und Dr. Sebastian Merkel untersuchte die Aktivitäten von Private Equity-Gesellschaften im Bereich der Patientenversorgung. Dabei zeigte sich, dass der Gesundheitssektor bereits im Jahr 2017 zur wichtigsten Zielbranche dieser Finanzinvestoren geworden ist. „Die Dynamik hat insbesondere in den letzten Jahren zugenommen. Wichtig ist es daher, die weitere Entwicklung zu beobachten und potenzielle Auswirkungen zu analysieren.“ kommentiert Dr. Sebastian Merkel in einer Pressemitteilung des Instituts.
Es lassen sich vor allem zwei Trends identifizieren: Zum einen sind die Pflegeheime bzw. Pflegedienste mit rund 37.000 Beschäftigten der wirtschaftlich wichtigste Bereich der Übernahmen gewesen und entsprechen damit mehr als der Hälfte aller Beschäftigten in den übernommenen Unternehmen. Hier entfallen bereits relevante Marktanteile auf die Private Equity-geführten Unternehmen. „Für die Beschäftigten sind der Wechsel des Eigentümers und die möglichen Folgen häufig nicht transparent. Gerade in der Altenpflege ist es problematisch, wenn Spielräume der Lohngestaltung und des Personalbesatzes genutzt werden und die ohnehin knappen Ressourcen als Renditen ins Ausland abfließen“, sagt die Arbeitsforscherin Michaela Evans. Zum anderen ist der Trend zur Übernahme von Facharztsparten vor allem bei Zahnmedizin, Radiologie und Augenheilkunde erkennbar. Bislang ist erst die geringe Zahl von etwas mehr als 30 Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) durch Private Equity-Gesellschaften übernommen worden. Allerdings entfielen 80 Prozent dieser Fälle auf den Zeitraum des Jahres 2017 und des ersten Halbjahres 2018. Bei den Arztpraxen beginnt der Übernahme-Prozess offenbar gerade erst.
Private Equity-Übernahmen bedeuten zugleich eine starke Internationalisierung der Eigentümerstrukturen. Während die ursprünglichen Eigentümer der Gesundheitseinrichtungen ganz überwiegend ihren rechtlichen Sitz in Deutschland hatten, trifft dies nur auf etwa ein Drittel der Käufer zu. „Alle Erfahrungen mit Private Equity in Deutschland zeigen, dass dies nur wenig gemildert wird, wenn die Finanzinvestoren wieder ihre Unternehmen verkaufen“, betont der Sozialwissenschaftler Dr. Christoph Scheuplein.
Überwiegend wurden die Übernahmen von kapitalkräftigen, Fonds-basierten Private Equity-Gesellschaften aus verschiedenen europäischen Ländern und aus den Vereinigten Staaten getätigt. Gründe für die gegenwärtige Aktivität an Übernahmen sieht das IAT-Team vor allem in der veränderten Regulierung des Gesundheitsmarktes sowie in dem starken Kapitalangebot der Private Equity-Gesellschaften, dem eine rückläufige Zahl an erwerbbaren (großen) Unternehmen gegenübersteht.
Mit seiner Bestandsaufnahme „Finanzinvestoren in der Gesundheitsversorgung in Deutschland, 20 Jahre Private Equity“ kommt Rainer Bobsin in der 3. Auflage vom September 2018 zu ähnlichen Ergebnissen. Das Interesse von Private Equity- und Family-Equity-Investoren bleibe groß und habe dazu beigetragen, dass die Kaufpreise im Gesundheitsmarkt spürbar steigen, so schreibt er im Vorwort. Für den Einsteiger in das Thema bietet der schmale Reader einen definitorischen Teil und endet mit der Aufforderung an die Wissenschaft, die Auswirkungen der aktuellen Entwicklungen auf die Behandlungs- und Betreuungsqualität zu untersuchen, an die Politik, Transparenz der bisher weitgehend „geräuschlosen“ Entwicklung herzustellen, und an die Öffentlichkeit, eine Debatte und Strategiediskussion zu beginnen, inwieweit Renditeüberlegungen die Gesundheitsversorgung tangieren sollten.
Dass zu wenig Wissen Ängste und Sorgen hervorrufen kann, zeigt sich auch bei der verbalen „Schlammschlacht“, die sich die KV Sachsen und das MVZ DerArzt eG im April laut Ärztezeitung lieferten. Von den einen als „Heuschrecke“ beschimpft, sind die anderen bei näherem Hinsehen ein spannendes genossenschaftliches Modell mit Zukunft in einem schrumpfenden Hausarzt-Markt zur wohnortnahen Versorgung von Patienten (www.mvzderarzt.com).
Information und Transparenz einerseits und Win-Win-Win für Praxisabgeber, Investoren und Patienten andererseits sind die Schlüssel zum Abbau von Vorurteilen und nachhaltigen Erfolg. Sicherlich ein Grund, dass die DeRaG immer mehr auch von Mitgliedsradiologen als zukunftssicherndes Modell angenommen wird.
Ihr Ansprechpartner:
Dr. Michael Kreft