Was kann KI im Terminmanagement leisten?

Laut einer Umfrage der KBV vom Juni 2023 haben 69 Prozent der Arztpraxen ein Problem mit verpassten Terminen. Sieben von zehn Arztpraxen sind also davon betroffen. Die Ausfallquote bewegt sich hauptsächlich zwischen fünf bis 10 Prozent, teilweise geht sie rauf bis 20 Prozent. 

Ausgefallene Termine sind von der Honorar-Abrechnung ausgeschlossen. Selten berechnen Praxen Ausfallgebühren. Ergo erzeugen sie wirtschaftliche Einbußen. Könnte man also einfach das Modell überbuchter Flieger zur Kompensation nicht erscheinender Passagiere auf die Terminvergabe übertragen? Grundsätzlich ist das denkbar, nur im Falle einer 100% Show-Rate wären längere Wartezeiten für die Patient/-innen und mehr Untersuchungen an einem Tag für das medizinische Personal die Folge. Und bei gerade einmal 5–10 Prozent Ausfallrate ist dies kein ratsames Modell. Das Gießkannen-Prinzip kann kein veritabler Ansatz sein. Herauszufinden, welche Faktoren die Wahrscheinlichkeit von Terminausfällen bei Patient/-innen begünstigen und damit eine Terminplanung aufzubauen, erscheint weitaus praktikabler.

 

YIELD-Management: Belegungs-Logik aus der Hotellerie anwenden 

Yield-Management, auch bekannt als Ertragsmanagement, stellt eine entscheidende Preisstrategie in der Hotelbranche dar. Es bietet die Möglichkeit, die Buchungsauslastung mithilfe dynamischer Preisgestaltung strategisch zu steuern – mit dem Ziel, die Einnahmen zu steigern.

Voraussetzung ist ein fundiertes Verständnis darüber, wie man das Kundenverhalten beeinflussen und das Verhalten präzise vorhersagen kann, um diese Strategie erfolgreich anzuwenden.

Letztendlich dreht sich alles um den richtigen Zeitpunkt - nämlich darum, das passende Angebot zum optimalen Zeitpunkt an den richtigen Kunden zu verkaufen.

Yield-Management ermöglicht es Hotels, die Vorteile der Automatisierung zu nutzen, während es gleichzeitig die Denkweise der Hoteliers verändert. Durch Konnektivität und die Integration von Systemen können Hotels ihre Gäste besser betreuen und gleichzeitig den Cashflow im Auge behalten.

 

Intelligentes Terminvergabe und -management für die Praxis

Das datenbasierte Yield-Management aus der Hotelbranche lässt sich auf andere Bereiche übertragen. Eine erfolgreiche Anwendung ist dem National Health Service in Großbritannien mit seinem digitalen Gesundheitsdienst „Babylon“ gelungen. Hauptsächlich zielt der Service auf eine  vereinfachte Terminvergabe ab – ähnlich wie Doctolib in Deutschland. Der Einsatz künstlicher Intelligenz im Babylon-Projekt ermöglicht es, Patienten mit einer Vorgeschichte zu identifizieren, die eine Wahrscheinlichkeit mitbringen, Termine zu versäumen. Dieses Wissen wird innerhalb des digitalen Gesundheitsdienstes gezielt mit Nudging-Methoden verbunden, auf dessen Basis die identifizierten Patienten/-innen an bevorstehende Arztbesuche erinnert werden.

Die Anwendung von KI kann im Gesundheitswesen äußerst effektiv sein, wenn es darum geht, aufgrund der Patientengeschichte oder des Nutzungsmusters zu entscheiden, wann und von wem Termine vergeben werden sollten, insbesondere angesichts der Schwankungen in der Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen.

Auf welcher Grundlage die KI Ausfallwahrscheinlichkeiten ermittelt, illustriert ein Bericht auf healthitanalytics.com vom 3. Mai 2022. Darin werden die Ergebnisse einer in npj Digital Medicine veröffentlichten Studie (Machine Learning Approaches to predicting no-shows in pediatric medical appointment) vorgestellt.

Dieser Studie zufolge ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass Patienten mit einer Vorgeschichte von Terminversäumnissen, einer öffentlichen Krankenversicherung und einem niedrigeren sozioökonomischen Status ihre Termine versäumen. Als Gründe für versäumte Termine werden häufig Verkehr, Terminprobleme, Zeitkonflikte und Umweltfaktoren als Hauptgründe genannt.

Als Lernbasis entwickelten die Forscher ein Deep-Learning-Modell. Es kann mithilfe zugeführter Daten aus den elektronischen Patientenakten (EHRs) von Kindern und lokalen Wetterinformationen präzise vorhersagen, wann Termine bei Kinderärzten verpasst werden. Diese Vorhersagen können dann verwendet werden, um Maßnahmen zur Vermeidung von Terminausfällen umzusetzen, wie die neue Studie in npj Digital Medicine berichtet.

Die Forscher entwickelten das Deep-Learning-Modell, indem sie zwischen dem 10. Januar 2015 und dem 9. September 2016 in der Kinderklinik des Boston Children's Hospital retrospektiv Daten aus der elektronischen Patientenakte von 19.450 Patienten sammelten. Diese Datensätze enthielten Daten von 161.822 medizinischen Terminen und Informationen zu Alter, Geschlecht, früherer Nichterscheinen-Rate und Krankenversicherungsart. Von diesen Terminen wurden 20,3 Prozent nicht wahrgenommen, was bedeutet, dass der Patient weder erschienen ist, noch abgesagt hat.

Die Daten wurden verwendet, um den Algorithmus darauf zu trainieren, das Risiko eines Terminausfalls zum Zeitpunkt der Terminvereinbarung vorherzusagen. Das Modell wurde mit Aufzeichnungen trainiert, die sowohl Informationen enthielten als auch nicht enthielten, da 77 Prozent der gesammelten Aufzeichnungen mindestens ein fehlendes Datenmerkmal aufwiesen. Die sieben Merkmale, die die fehlenden Daten ausmachten, waren der "Status früherer Besuche", "Bildungsniveau der Mutter", "öffentliche oder private Versicherung", "Versicherungsplan", "Zahler", "Sprache", "Rasse" und "Name des klinischen Hausarztes".

Die Forscher vermuteten, dass lokale Wetterinformationen entscheidend für die Vorhersage von Terminausfällen waren. Daher inkludierten sie Umgebungstemperatur, Windgeschwindigkeit, Luftfeuchtigkeit und atmosphärischen Druck am Tag des Termins in der Stadt, in der sich die Primärversorgungsklinik befindet, als vorhersagende Merkmale.

Nach dem Training ihres Modells verglichen die Forscher die Ergebnisse mit der herkömmlichen Baseline-Persistenzmethode, die das Verhalten von Patienten hinsichtlich ihrer Terminausfälle auf der Grundlage ihres Erscheinens oder Nichterscheinens zu ihrem letzten Termin vorhersagt, sowie einer einfachen logistischen Regressionsmethode als Referenz. Insgesamt übertrafen die KI- und logistischen Regressionsmodelle die Baseline-Persistenzmethode. Beide Modelle stellten auch fest, dass die Vorgeschichte der Patienten hinsichtlich ihrer Terminausfallaufzeichnungen und der atmosphärische Druck die wichtigsten Vorhersagefaktoren für das Verhalten von Terminausfällen waren.

Diese Forschung zeigt, dass die Integration von Daten zu lokalen Wettermustern und Patientenakten, selbst wenn sie fehlende Informationen enthalten, die Genauigkeit eines Vorhersagemodells erheblich verbessern kann.

Die Forscher schlugen auch Möglichkeiten vor, wie ihr Modell potenziell bei Bemühungen zur Reduzierung von Terminausfällen helfen könnte. Ihre KI-Methode könne zur Identifizierung von Patienten/-innen verwendet werden, die dank Terminerinnerungen per Anruf, SMS oder E-Mail schlussendlich zum Termin erscheinen. Wieviele Erinnerungen es brauche, kann das Modell laut Aussagen der Forscher ebenfalls ermitteln.

 

Fazit

Zur Verbesserung der Show-Rate bei Arztterminen sind erste Modelle im Einsatz, welche datenbasiert Patienten/-innen Erinnerungen an bevorstehende Termine versenden. Genaue Angaben, wie der Vergabe-Algorithmus des Gesundheitsdienstes „Babylon“ funktioniert, waren per Recherche durch die Redaktion nicht zu finden. Wesentliche Einflussfaktoren wie die lokale Wetterlage und die Vorgeschichte der Patienten/-innen sind bestimmt, welche das Risiko eines Ausfalls erhöhen. Es bleibt zu hoffen, dass mit diesem Wissensstand Terminvergabe- und -managementsysteme durch Erinnerungsservices und eventuelle Aufbuchungen von Terminen an Risikotagen automatisiert umgehen.

Unterstützen können hier wohl nur auf höchster nationaler Ebene angelegte Programme, ähnlich dem nationalen Gesundheitssystem des Vereinigten Königreiches, um die benötigte Datenbasis für die künstliche Intelligenz bereitzustellen.

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