Unmut in der Ärzteschaft über die Digitalisierungspolitik
Die Vorstände der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und der 17 Kassenärztlichen Vereinigungen haben in einem „offenen Brief“ an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn einen Kurswechsel in der Digitalisierungspolitik gefordert.
Die „Bestandsaufnahme“ zum Stand der Entwicklung der Digitalisierung im deutschen Gesundheitssystem aus der Sicht der Ärzteschaft: „Die derzeitigen gesetzlichen Rahmenbedingungen der TI-Ausgestaltung sind … geeignet, die notwendige Akzeptanz der Niedergelassenen zu verspielen. Sie verhindern damit eine erfolgreiche und sinnvolle digitale Vernetzung der Beteiligten. Gegenwärtig ist den Niedergelassenen der Mehrwert digitaler Anwendungen nicht mehr zu vermitteln. Die Vertragsärzte haben die Pflichten, die späteren Datennutzer wie z. B. Krankenkassen und Arbeitgeber aber den Vorteil in Form von besseren und schnelleren Informationen. Zudem müssen die Praxen teilweise die Kosten für technisches Versagen dieser Systeme selbst tragen. Sie werden gleichzeitig mit Sanktionen bedroht, wenn sie nicht fristgemäß Anwendungen implementieren, die entweder noch nicht verfügbar oder technisch unausgereift sind. Die derzeitigen Digitalisierungskonzepte bedeuten für die Praxen keine Arbeitserleichterung, sondern stellen eine zunehmende Bürokratisierung im ärztlichen Alltag dar.“
Die KBV und die KVen richten in dem „offenen Brief“ folgende Forderungen an den Bundesgesundheitsminister:
1. Der Mehrwert der Digitalisierung und insbesondere der Anbindung an die TI muss für die Niedergelassenen klar erkennbar sein. Neue digitale Anwendungen müssen sich auf die originären Aufgaben der Vertragsärzte beschränken.
2. Vor der Einführung von Systemen der Digitalisierung muss deren Funktionsfähigkeit gewährleistet sein. Zudem ist sicherzustellen, dass es ein dauerhaftes Ersatzverfahren gibt.
3. Die Zeiträume für die Einführung digitaler Anwendungen müssen angemessen im Hinblick auf Plausibilität und Machbarkeit sein. Bestehende Fristen zur Umsetzung müssen erheblich verlängert werden, um entsprechende Übergänge und Anpassungen bis zur Funktionsfähigkeit sicher zu ermöglichen.
4. Die Androhung von Sanktionen bei nicht fristgemäßer Implementierung erzeugt unnötige Widerstände und ist daher kontraproduktiv.
5. Die Kosten der Anbindung an die TI sowie alle Folgekosten müssen angemessen finanziert werden. Dies betrifft auch die Kosten aufgrund der dringend notwendigen und längst überfälligen Datenschutzfolgeabschätzung.
6. Dem KV-System muss die Möglichkeit gegeben werden, endlich industrieunabhängig eigene Lösungen für den PVS/TI-Bereich in den Vertragsarztpraxen zu entwickeln und den Mitgliedern der KVen zur Verfügung zu stellen.
7. Bei der Ausgestaltung der IT-Sicherheitsrichtlinie nach § 75 Absatz 5 SGB V muss sichergestellt sein, dass die technischen Anforderungen sinnvoll und tragbar für die Praxen der Niedergelassenen sind. Statt des „Einvernehmens“ muss nur noch das „Benehmen“ mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hergestellt werden. Die vollständige Finanzierung der damit verbundenen Kosten für die Praxen muss vorab abschließend geklärt sein.
Der Brief der Vorstände der KBV und der KVen an den Bundesgesundheitsminister schließt mit dem Hinweis: „Auch die Androhung einer Ersatzvornahme wird die Haltung der Vertragsärzte nicht ändern!“ Der Bundesgesundheitsminister hat den „offenen Brief“ noch nicht beantwortet. In einer wichtigen Angelegenheit hat der Bundesgesundheitsminister allerdings schon Einsicht gezeigt: Der Start der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) ist auf Oktober nächsten Jahres verschoben worden, Details muss nun die KBV mit dem GKV-Spitzenverband im Bundesmantelvertrag-Ärzte vereinbaren. Ursprünglich sollte die eAU schon am 1. Januar möglich werden, technische Voraussetzungen, wie das notwendige Konnektoren-Update für die Arztpraxen, fehlen flächendeckend aber bislang.