Neues Arztinformationssystem für Arzneimittel – wegweisend für die Verordnung von innovativen Arzneimitteln

Der Aufbau eines neuen Arztinformationssystems (AIS) für Arzneimittel ist für die niedergelassenen Ärzte von existentieller Bedeutung. Es geht ihnen bei diesem Projekt nicht nur um die Information der Ärzte über die Ergebnisse der frühen Nutzenbewertung bei innovativen Arzneimitteln, sondern wohl auch – auf der Grundlage der Informationen über den Zusatznutzen oder auch einen mangelnden Zusatznutzen – um die kommende Weichenstellung in der Wirtschaftlichkeitsprüfung.

In einem Eilverfahren (Az.: L 9 KR 437/16 KL ER) hatte das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg (Potsdam) am 22. Februar 2017 entschieden, dass ein einheitlicher, im Zuge der Mischpreisbildung ermittelter Erstattungsbetrag dann gegen die rechtlichen Vorgaben verstößt, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) auf der Grundlage der Bewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bei der frühen Nutzenbewertung festgestellt hat, dass für ein Arzneimittel nur bei einer oder mehreren bestimmten Patientengruppe(n) ein Zusatznutzen vorliegt – aber nicht bei allen.

Mit dieser Entscheidung des LSG haben sich die Rahmenbedingungen für die Verordnung von innovativen Arzneimitteln grundlegend geändert. Eine Konsequenz aus dem Verbot der Mischpreisbildung könnten „nutzenorientierte Erstattungspreise“ sein, bei denen in Abhängigkeit vom Ausmaß des Zusatznutzens bei verschiedenen Patientengruppen differenzierte Preise gebildet werden – es ist denkbar, dass die Verantwortlichen ein solches Modell mit dem AIS umsetzen werden.

Die zentralen Vorgaben des Urteils:

• Die Bildung eines Mischpreises für ein Arzneimittel ist rechtswidrig, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) bei einer Patientengruppe einen Zusatznutzen erkannt und zugleich bei einer oder mehreren Patientengruppen verneint hat; der Mischpreis führt in dieser Konstellation zu nicht nutzenadäquaten Preisverzerrungen.

• Aus dem Vorhandensein eines Erstattungsbetrages darf nicht automatisch auf die Wirtschaftlichkeit einer jeden Verordnung des betroffenen Arzneimittels in allen seinen Anwendungsbereichen geschlossen werden.

• Grundsätzlich darf der G-BA gemäß §92 Abs.1 Satz 1 SGBV anlässlich der Nutzenbewertung die Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels in Indikationen einschränken, für die kein Zusatznutzen erkennbar ist; so kann er die Bildung eines nutzengerechten Erstattungsbetrages ermöglichen.

In der Konsequenz bedeutet dieses Urteil, dass für ein Arzneimittel mit einem beträchtlichen Zusatznutzen bei einer bestimmten Patientengruppe für andere Patientengruppen (ohne Zusatznutzen) ein strikter Verordnungsausschluss beschlossen wird. Ein andere mögliche Variante: Der G-BA beschließt unterschiedliche Preise für die Verordnungen bei den verschiedenen Patientengruppen; der Arzt muss bei seiner Verordnung in jedem Fall die Höhe des Erstattungsbetrages berücksichtigen.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) setzt sich dafür ein, ein Informationssystem zu implementieren, das die Therapiefreiheit des Arztes nicht gefährdet und zugleich das Regressrisiko für die Ärzte nicht verschärft. Die Position der KBV, die sie schon im Vorfeld der Beschlussfassung zum GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG) verdeutlich hatte:

• Die Informationen aus der frühen Nutzenbewertung stellen eine Momentaufnahme der vorliegenden Evidenz dar, sind jedoch keine Ersatzleitlinien. Sie können daher nur als zusätzliche Informationen für die Ärzte dienen. Als Basis für Prüfanträge sind sie nicht geeignet.

• Ärzte sollten über ihr Praxisverwaltungssystem wirkstoffbezogen insbesondere zum Anwendungsgebiet und Ergebnis der Zusatznutzenbewertung gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie sowie zu den Anforderungen an eine qualitätsgesicherte Anwendung informiert werden.

• Eine zusätzliche Dokumentationspflicht der Kodierungen auf der Verordnung als Basis erweiterter Regressprüfungen muss ausgeschlossen sein.

• Für anfallende Mehrkosten, die den Vertragsärzten durch die Anpassung und Aktualisierung der Praxisverwaltungssysteme gegebenenfalls entstehen, ist eine Finanzierungsregelung analog der Regelung zur Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) im Rahmen der Telematikinfrastruktur zu treffen.

• Alternativ hierzu wären zur Stärkung des Wettbewerbs die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Schnittstellen, die einem Vertragsarzt den Wechsel seines Praxisverwaltungssystems ermöglichen, zu schaffen. Darüber hinaus sollte der KBV die bislang nicht zulässige Entwicklung von Praxisverwaltungssoftware ermöglicht werden.

• Es bedarf einer gesetzlichen Regelung, die Klarheit darüber herstellt, dass der vereinbarte Erstattungsbetrag die wirtschaftliche Verordnung eines neuen Arzneimittels im gesamten Anwendungsgebiet ermöglicht.

Die Große Koalition hat bei der Verabschiedung des Gesetzes keine Ergänzungen oder Klarstellungen vorgenommen. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) steht jetzt vor der Aufgabe, die Rahmenbedingungen und die Vorgaben für den G-BA in einer Rechtsverordnung zu bestimmen. Lutz Stroppe, Staatssekretär im BMG, hat versichert, dass eine Steuerung der Kostenentwicklung durch das AIS nicht vorgesehen sei. Die Bereitstellung von sachgerechten Informationen solle aber die Therapieentscheidung des Arztes unterstützen und zugleich die Therapiefreiheit stärken.

______________

Dieser Artikel stammt vom Leo Schütze Verlag, Herausgeber des „Schütze-Briefs“. Curagita übernimmt keine Gewähr für die Richtigkeit dieser Informationen.

Ihre Ansprechpartner:

Dr. Michael Kreft mikcuragita.com

Carsten Krüger ckgcuragita.com