Herausforderungen für die niedergelassene Radiologie nach der Wahl – Ein Gespräch mit Jürgen Witt

Jürgen WittMit Jürgen Witt, Partner aus der Mitgliedspraxis Radiologie Franken-Hohenlohe befindet sich im Netz ein erfahrener „Berufspolitiker“, der sich sowohl im Baden-Württembergischen BDR als auch im Radiologienetz seit vielen Jahren für die Belange der niedergelassenen Radiologie interessiert und einsetzt. Ihn haben wir als Fachbeirat und Freiberufler um eine Einschätzung der aktuellen Situation in der ambulanten Radiologie nach der Bundestagswahl gebeten.

Momentan sieht es so aus, als käme es zu einer Ampelkoalition. Erwarten Sie Änderungen im Gesundheitssystem, die für niedergelassene Radiologen gravierende Folgen haben könnten?

Jürgen Witt: Ich beziehe mich auf das Ergebnis der Ampelsondierungsgespräche von Mitte Oktober. Danach sieht es so aus, dass Einigkeit der möglichen künftigen Koalitionspartner darüber besteht, „in der Gesundheitspolitik Vorsorge und Prävention zum Leitprinzip zu machen“. Das wäre dann im Sinne der Radiologie, wenn die vorhandenen technischen und diagnostischen Möglichkeiten wirklich ernsthaft ausgeschöpft würden und Mögliches nicht aus Kostengründen zu weniger Gutem reduziert würde.

Weiterhin wollen die potenziellen Koalitionäre „aus den Erkenntnissen der Pandemie lernen und den Öffentlichen Gesundheitsdienst digitalisieren und stärken.“ Wir sind in den radiologischen Praxen zum allergrößten Anteil schon komplett digital. Das muss Hand in Hand mit Datensicherheit und Datenschutz gehen, insbesondere in unserem sensiblen Metier. Bleibt zu wünschen, dass diesem allgemeinen Bekenntnis zur Digitalisierung auch Taten folgen, die sich in einer zuverlässigen, bezahlbaren und funktionsfähigen Telematikinfrastruktur einerseits und Lockerungen seitens des Gesetzgebers bezüglich der Telearbeit für Ärzte und auch nicht-ärztlichen Personals andererseits niederschlagen. Die Zukunft, insbesondere auch vor dem Hintergrund des Ärzte- und Fachkräftemangels, ist digital.

Im Sondierungspapier steht weiter: „Der Zugang zu guter und verlässlicher gesundheitlicher Versorgung muss überall in Deutschland, ob in der Stadt oder auf dem Land, gewährleistet sein. Es bedarf mehr sektorenübergreifender Kooperation und Vernetzung zwischen den verschiedenen Gesundheitseinrichtungen und -berufen“. Hier könnte aus berufspolitischer Sicht neben einem Bekenntnis zur wohnortnahen Versorgung abgeleitet werden, dass künftig Krankenhäuser in versorgungsschwachen Gebieten radiologische Leistungen ambulant anbieten. Das steht zwar noch nicht explizit drin, wurde aber bereits in der Vergangenheit verschiedentlich diskutiert. Hier gilt es, genau nachzulesen, was die Koalitionäre aushandeln und gegebenenfalls zu reagieren. Der Trend der Krankenhäuser, ihre Radiologien outzusourcen, hat sich in den letzten Jahren umgekehrt und könnte weiter Aufschwung bekommen – was in den allermeisten Regionen sicherlich nicht im Sinne der freiberuflichen Radiologen wäre.

Last but not least: Im Papier steht, dass die gesetzliche und die private Kranken- und Pflegeversicherung erhalten bleiben. Die Bürgerversicherung scheint damit erst mal vom Tisch zu sein. Das wäre eine sehr gute Nachricht für die Radiologie, deren Innovationen ohne das Geld der PKV nicht bezahlbar wären. Klar ist aber auch, dass es in der Schublade schon längst eine GOÄ-Reform gibt, die Anfang 2022 herausgeholt wird und mit hoher Sicherheit Einschnitte z.B. durch die Begrenzung von Steigerungssätzen bringen wird. Wie so oft in der Politik wird der Rotstift gerne bei den, zumindest bei manchen Parteien sehr niedrig eingestuften, sogenannten „technischen Leistungen“ angesetzt.

Über die Marktkonsolidierung in der ambulanten Radiologie findet sich im Papier noch nichts. Einerseits schreitet der Aufkauf von Praxen durch Private Equity-finanzierte MVZ-GmbHs in Deutschland unvermindert fort – was wir ja auch im Radiologienetz deutlich sehen! Andererseits sind die kritischen Stimmen weiterhin sehr aktiv. Zum Beispiel las ich gerade einen Ende September von Freien Wählern und CSU in den bayerischen Landtag eingebrachten Antrag, in dem die bayerische Regierung dazu aufgefordert wurde, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass der Schutz der Unabhängigkeit ärztlicher Entscheidungen in medizinischen Versorgungszentren (MVZ) nach § 95 SGB V (Sozialgesetzbuch Fünftes Buch) weiter gestärkt bzw. verbessert wird. Hierzu sei zwingend erforderlich, dass die Mehrheit der Gesellschaftsanteile und Stimmrechte der Trägergesellschaften von MVZ in den Händen von Vertragsärzten läge und der Aufgaben- und Verantwortungsbereich des ärztlichen Leiters eines MVZ gegenüber der kaufmännischen Leitung gestärkt werde. Die bisher vorliegenden bundesgesetzlichen Regelungen seien dahingehend nachzubessern bzw. nachzuschärfen.

 

Wie positionieren sich BDR/DRG im neuen Berlin? Was müssen sie tun?

Jürgen Witt: Momentan sind die Berufsverbände noch in einem eher abwartenden Modus. Es gibt noch nicht viel Handfestes, auf das reagiert werden kann. Die üblichen Bekundungen fanden statt – wie alle wissen, ist die Stimme der Radiologie innerhalb der Ärzteschaft sowieso eine eher leise. Ich denke, alle wären sehr froh, wenn sich der Erhalt des Systems GKV/PKV bestätigt und die, sicherlich sich kurzfristig anschließende, GOÄ-Reform moderat ausfiele. Meines Erachtens ist das sehr wahrscheinlich, weil trotz SPD-Bekundungen, insbesondere von Karl Lauterbach, mit dem wir ja auch schon mal in Heidelberg diskutieren durften, keiner wirklich an das Thema Bürgerversicherung ran möchte. Hier scheut sich die Politik. Zu Recht, wie ich finde, da es ein riesiger Systemwechsel wäre, der im übrigen fatale Folgen für die Radiologie, die Nuklearmedizin und die Strahlentherapie hätte.

Die Berufspolitik der Verbände für uns niedergelassene Radiologen ist ein dickes Brett, was das Wenige, das man hört, vielleicht auch ein bisschen erklärt. Die Idee einer expliziten Vertretung der Niedergelassenen in der DRG, NAFRAD, zeigt zumindest in meiner Wahrnehmung noch keinen wesentlichen Effekt. Am Ende sind wir eine kleine Gruppe von Fachärzten, die zum Beispiel auch nach der EBM-Reform 2020 durch die unterschiedlichen Honorarverteilungsmaßstäbe weiter auseinanderdividiert wurde. Tatsächlich gibt es aktuell „Gewinner“ der Reform (z.B. unsere KV-Region BaWü, z.B. Praxen mit viel MRT-Leistungen und bisher geringen Auszahlungsquoten) und „Verlierer“ (z.B. Praxen im Gebiet der KV NO, bei denen die Auszahlungswerte bis zu 15% unter den kalkulatorischen Fallwerten liegen).

 

Was sind momentan die großen berufspolitischen Herausforderungen, denen sich Radiologen heute sowieso schon stellen müssen?

Jürgen Witt: Zum einen sind wir alle noch mit den „Nachwehen“ der Corona-Pandemie beschäftigt. Die Großstadtpraxen und diejenigen, die viele Selbstzahler- und Präventionsleistungen anbieten, konnten die Ausfälle 2020 auch in diesem Jahr sicherlich nicht aufholen. Der Schutzschirm wird für die wenigsten radiologischen Praxen aufgespannt worden sein. In unseren Praxen sind wir alle noch beschäftigt mit den diversen Hygieneauflagen, die die Prozesse kosten- und zeitmäßig aufblähen. Dazu kommt, wie eben schon erwähnt, die EBM-Reform vom letzten Jahr, die zu Honorarabsenkungen in vielen KV-Regionen geführt hat oder noch führen wird.

Herausfordernd sind auch die Kassen-Direktverträge mit verschiedenen Facharztrichtungen, bei denen wir Radiologen bisher weitgehend außen vor sind. Erwähnen will ich z.B. für Baden-Württemberg die Prostata-Versorgung mit den Urologen, die keine radiologische Bildgebung umfasst oder auch den im Frühjahr abgeschlossenen Vertrag der AOK und der BKK Bosch mit Kardiologen zur Herzversorgung, in dem die Durchführung auch von Herz-Schnittbildleistungen Kardiologen vorbehalten ist bzw. die Einbeziehung von Radiologen den Kardiologen obliegt. Das ist in hohem Maße unbefriedigend. Unsere Hochleistungsdiagnostik z.B. bei Prostata- und Herzerkrankungen erbringen wir im System gesetzlich Versicherter wenig bis gar nicht. Aber auch hier müssen wir Radiologen uns fragen, ob wir eine gemeinsame Linie fahren und wenn ja, wie diese aussieht. Die Kollegen in den eher breit aufgestellten ländlichen Praxen haben zum Beispiel wenig Ressourcen für diese Themen und Spezialisierungen und wären eventuell an einer Beteiligung an solchen Kassenverträgen gar nicht interessiert. Dazu kommt, dass alle Facharztgruppen immer auch gleichzeitig unsere Zuweiser sind, mit konkreten Anforderungen an uns und unseren Einsatz in ihrem Sinne. Sich dann berufspolitisch gegen die Hand zu richten, die einen füttert, ist schwierig.  

Trotzdem müssen wir Kollegen in der ambulanten Radiologie uns einsetzen und zusammentun, sonst gehen uns potenzielle extrabudgetäre Einnahmequellen schlicht verloren. Schon heute schnappen uns Niedergelassenen in den Universitätsstädten die Universitäts-Radiologen als Partner von Direktverträgen Möglichkeiten weg. Auch beim Lungenscreening, wenn es denn kommt, besteht die Gefahr, dass es die Zentren an sich ziehen. 

Ein weiteres großes Thema beherrscht zurzeit die allermeisten Praxen: Der Nachwuchs- bzw. Fachkräfte-Mangel. Wir alle kämpfen um die wenigen guten Kräfte auf dem Markt sowohl auf der MFA/MTA Seite als auch bei den ärztlichen Kollegen/Kolleginnen. Das hat zur  Folge, dass die Personalkosten steigen und steigen. Dazu trägt auch das neue MTRA-Gesetz ab 01.01.2023 bei, das das Berufsbild MTRA weiter aufwertet und uns, sofern wir ausbilden wollen, verschiedene weitere Auflagen – Stichwort Praxisanleiter – bescheren wird. 

Viele versuchen, sich durch Recruiting aus dem Ausland zu helfen, was ein wahnsinniges zeitliches Engagement erforderlich macht und dann manchmal doch zur unvermittelten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach schon kurzer Zeit führt. Daneben gibt es in den kleineren Praxen und den unattraktiveren Regionen Probleme, Partner zu finden.  

 

 Wird es eventuell bald zwei Verbände – einen für Praxen und einen für Betreiberketten – geben?

Jürgen Witt: Betreiberketten brauchen keinen Interessensverband. Die sind in Konkurrenz, arbeiten kosten- und wirtschaftsorientiert. Die Fragen lauten eher: Woher bekommt der BDR künftig seine Mitglieder? Wie gehe ich mit denen um, die im MVZ arbeiten? Fällt da die Grundlage für eine BDR-Mitgliedschaft weg? Was könnte einen angestellten Radiologen überhaupt motivieren, Mitglied beim BDR zu sein? 

Es ist sicherlich schwierig für den BDR, die Interessen von Unternehmern und Angestellten unter ein Dach zu bekommen. Die Mitgliederbasis des BDR wird erodieren. Die angestellten Radiologen „brauchen“, zumindest in ihrer eigenen Wahrnehmung, nur den Fachverband DRG, nicht den BDR. Ich sehe nicht, dass der BDR diese neue Situation schon realisiert hat oder effektiv bearbeitet.

 

Braucht es nicht radiologische Unternehmerverbände, Genossenschaften?

Jürgen Witt: Meiner Meinung nach müssen die radiologischen Unternehmer, also wir Freiberufler, mehr denn je zusammenrücken. Unser Radiologienetz bietet hier eine gute Plattform: Die Leute setzen sich auf neutralem Boden zusammen und gewinnen Vertrauen zueinander. Die Älteren von uns kennen sich inzwischen seit vielen Jahren. Die Jüngeren wachsen in diesen offenen Austausch rein. Momentan ist die Plattform noch durch eher lose Zusammenarbeit gekennzeichnet. Aber es wird für uns alle in der Niederlassung schwieriger werden: Honorartechnisch werden sich die goldenen Zeiten in der Radiologie verschlechtern und wir werden uns auf auch eher magere Jahre einstellen müssen. Den Kassen geht das Geld aus. Die Honorar-Schraube wird noch weiter gedreht werden und die technischen Leistungen stehen dabei immer in der ersten Reihe. 

Keine Frage, das Radiologienetz von morgen muss ein von Praxis-Unternehmern geführter und gewollter Austausch sein bzw. durch regionale Zusammenarbeit darüber vielleicht auch noch hinaus gehen. Das überfordert zeitlich den einzelnen Unternehmer-Radiologen und hier ist dann auch die Rolle einer wieder auf die Freiberufler fokussierten Curagita in der Betreuung und im Management eines guten und offenen Radiologienetzes zu sehen.

 

Wie können wir als Radiologienetz unsere Mitglieder stärken und unterstützen?

Jürgen Witt: Berufspolitik im engeren Sinne mit dem Ziel, eine legitimierte Interessensvertretung der niedergelassenen deutschen Radiologen zu sein, wurde vor Jahren beendet. Radiologienetz ist kein Berufsverband und wird es auch nicht werden.

Aber: Unser Anspruch sollte es sein, mit einer schlagkräftigen, kompetenten Organisation Berufspolitik im weiteren Sinne zu machen: Argumente sammeln, Modellrechnungen vornehmen, Gutachten, Studien durchführen bzw. beauftragen, Widersprüche vorbereiten, Gespräche mit politischen Entscheidern, Lobbyisten, (Berufs-)Verbänden, Kassen führen, innovative Modellprojekte initiieren. Hier bräuchten wir ein Team aus impulsgebenden Ärzten und Umsetzern.

Weiterhin kann unser Radiologienetz seine Mitgliedspraxen da stärken, wo wir mit dem genossenschaftlichen Ansatz stärken können, z.B. durch die Positionierung des Radiologienetzes als Summe attraktiver Arbeitgeber in der Radiologie mit Entwicklungs- und Karrierechancen in den Praxen des Radiologienetzes. Oder wir können uns – wie schon mal beim Mamma-Screening – erfolgreich als Netz um Versorgungsprojekte bewerben z.B. Lungenscreening etc.

Last but not least: Das Radiologienetz hat uns bereits Synergien geschaffen, um Kosten zu minimieren (Geräteeinkauf und Wartung) und Prozesse zu optimieren in den einzelnen Mitgliedspraxen. Das ist ein weiterer wichtiger Beitrag für unsere zukünftige Wettbewerbsfähigkeit. Wir realisieren Synergien durch eine zentrale, aber schlanke Struktur, um uns gegenüber den großen MVZ in der Verhandlungsposition mit der Industrie oder auch auf dem Arbeitsmarkt nicht schlechter zu stellen.

Jede Radiologienetz-Praxis kann durch eine gute Unternehmenskultur und engagierte Führung eine doch deutliche Strahlkraft nach außen entwickeln und diese auch gezielt fördern. Wir sind im guten Sinne mittelständische Unternehmen. Früher hätte man wahrscheinlich die Kategorie „Familienunternehmen“ benutzt.

Das schätzen unsere Patienten und Überweiser, weil sie wissen, dass wir uns um sie kümmern und nicht nur an Quartalszahlen interessiert sind. Und das schätzen unsere Mitarbeiter, weil sie wissen, dass der oder die „Chefs“ im Zweifelsfall auch immer den Kopf hinhalten, weil es eben ihr Unternehmen ist und sie nicht einfach, wenn es mal schlecht läuft, durch einen neuen Geschäftsführer abgelöst werden.

Der Aufbau von Vertrauen und der gegenseitige Austausch zwischen diesen Unternehmern hilft jeder Praxis in unsicheren Zeiten und zeigt jedem von uns, dass wir eben doch nicht ganz allein dastehen!


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