Gutachterkonsortium analysiert vertragsärztliche Bedarfsplanung

Weitreichende Empfehlungen für die ärztliche Niederlassung und sektorenübergreifende Versorgung bis hin zum Medizinstudium.

Mit der Bedarfsplanung, die 1993 durch das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) eingeführt wurde, erließ der Gesetzgeber Zulassungssperren für überversorgte Gebiete. Die Politik wollte auf diese Weise die Niederlassung von Kassenärzten steuern, um so eine bundesweit ausgewogene haus- und fachärztliche Versorgung sicherzustellen. In erster Linie sollte eine „Arztschwemme“ in bereits gut versorgten Gebieten verhindert werden.

Nachdem die Bedarfsplanung fast 20 Jahre unverändert blieb, wurde im Versorgungsstrukturgesetz (VStG) aus dem Jahr 2012 die Notwendigkeit einer Neufassung festgestellt. Statt einer „Arztschwemme“ droht in der ambulanten Versorgung vielerorts ein Ärztemangel; gerade in ländlichen Gebieten fehlen schon jetzt zahlreiche Ärztinnen und Ärzte.

Der Gesetzgeber fordert, die Planung „bedarfsgerechter“ zu gestalten und den tatsächlichen Bedarf besser abzubilden. Dieser Reformauftrag des Gesetzgebers hinterfragt die bisherige Grundsystematik der Bedarfsplanung.

Seit Mai 2018 liegt dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) nun ein von einem Gutachterkonsortium erstelltes „Gutachten zur Weiterentwicklung der Bedarfsplanung i.S.d. §§ 99 ff. SGB V zur Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung“ vor. Dieses soll im Wesentlichen drei Fragen beantworten:

  1. Wie kann der Versorgungsbedarf der Bevölkerung objektiv gemessen werden?
  2. Welche Arztkapazitäten sind erforderlich, um den Versorgungsbedarf zu decken?
  3. Wie müssen diese Arztkapazitäten regional verteilt werden, damit ein angemessener und vergleichbarer Zugang zur Versorgung sichergestellt werden kann?

Die 722 Seiten starke Untersuchung gelangt aufgrund von Analysen, Erhebungen und Expertenbefragungen zu der Erkenntnis, dass eine rein statische Betrachtung der Einwohner-Arzt-Relation aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen nicht mehr zielführend ist. Daher müssten ergänzend weitere Determinanten bei der Festlegung von Verhältniszahlen berücksichtigt werden.

  • Für Hausärzte und Fachärzte der Grundversorgung sollte zur Sicherstellung einer wohnortnahen Versorgung künftig die Erreichbarkeit einfließen. Hausärzte sollen von 99% der Bevölkerung in 15 Minuten, Fachärzte in bis zu 30 Minuten erreicht werden können. Bei diesen Zeitvorgaben sollten auch Kreis-oder Stadtgrenzen keine Rolle mehr spielen. Vielmehr sollten auch historisch gewachsene Versorgungs- und Infrastrukturen berücksichtigt werden. In dieser neuen Planungssystematik sollte stärker als bisher definiert werden, welche Leistungen beziehungsweise Basisleistungen ein Arzt einer Arztgruppe in der Grundversorgung abdecken sollte.
  • Während der Bevölkerungsstand leicht sinkt, steigt der prognostizierte ärztliche Versorgungsaufwand aufgrund der Alterung der Bevölkerung im Zuge des demografischen Wandels je Einwohner. Der G-BA sollte verbindliche Rahmenvorgaben schaffen, wie die unterschiedliche Bevölkerungsentwicklung innerhalb Deutschlands und Veränderungen in den Versorgungserfordernissen einer Bevölkerung mit wachsendem Anteil an älteren und multimorbiden Menschen über die kommenden Jahrzehnte in der Bedarfsplanung zu berücksichtigen sind.
  • Die Bedarfsplanung sollte für Arztgruppen, die in der Regel eher spezialisierte Leistungen anbieten und nicht wohnortnah verfügbar sein müssen – hierunter fällt die Radiologie – teilweise sektorenübergreifend gestaltet werden. In der Praxis bedeutet das, dass sich auf ausgeschriebene Sitze gleichwertig sowohl niedergelassene Ärzte als auch Krankenhäuser bewerben könnten. Nicht prioritär sektorenübergreifend erbracht würden die Leistungen, die für die wohnortnahe fachärztliche Versorgung der Bevölkerung wichtig sind.
  • Im Falle der Nachbesetzung von Sitzen sollte die Verlegung von Praxisstandorten erleichtert werden, um mittel- bis langfristig das Ziel einer gleichmäßigeren und für alle Patienten gut erreichbaren Versorgung sicherstellen zu können. Hier wäre der Gesetzgeber gefordert, für Klarstellung im SGB V zu sorgen.
  • Um eine ausreichende Anzahl an qualifizierten Ärzten in den benötigten Fachrichtungen sicherzustellen, müsste eine prospektiv orientierte Kapazitätsplanung bereits an der Zulassung zu Medizinstudienplätzen sowie der Sicherstellung von Weiterbildungsplätzen in benötigten Fachrichtungen ansetzen und auch den absehbaren Ruhestand von Ärzten antizipieren.

Soweit die Informationen aus dem Schütze-Brief vom Mai dieses Jahres.

Was heißt das nun für niedergelassene Radiologen?

Zunächst einmal ist offen, ob und inwiefern das Gutachten in die Realität umgesetzt wird. Bundesgesundheitsminister Spahn erwartet, dass der G-BA bis Mitte 2019 einen Vorschlag für die Weiterentwicklung der Bedarfsplanungsrichtlinie unterbreitet. Dabei dürften in erster Linie Veränderungen bei Hausärzten und grundversorgenden Fachärzten im Blickpunkt stehen.

Auf den ersten Blick findet sich für die Radiologie – abgesehen von der sektorübergreifenden Bedarfsplanung – nicht allzu viel Neues. Sollten tatsächlich auch Krankenhäuser eine Rolle in der ambulanten Versorgung spielen, tauchen zweifelsfrei viele strategische Fragen für Niedergelassene auf. Freiberufliche Praxen werden einiges in die Waagschale werfen müssen, um sich gegen Klinikbewerber durchzusetzen. Das kann dazu führen, dass im Nachfolgeprozess sektorübergreifende Modelle gefordert werden. Praxen, die heute schon mit Krankenhäusern kooperieren, sind da im Vorteil.

Das Gutachten tätigt allerdings keine Aussage zur Bedeutung der konträren Vergütungsformen zwischen ambulantem und stationärem Sektor. An dieser Hürde sind schon viele, auch sinnvolle, sektorübergreifende Kooperationsmodelle gescheitert bzw. für die Partner unattraktiv geworden, so beispielsweise die ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV).

Positiv aus unternehmerischer Sicht ist, dass Sitzverlegungen vereinfacht werden sollen. In diesem Fall sollte es dann leichter möglich sein, Einzelsitze an einem abgelegenen Ort zu übernehmen und mit dem Ziel der Synergienutzung zu verlegen. Das kann zumindest bei kapitalintensiven Arztgruppen wie den Radiologen tatsächlich im Sinne einer besseren Versorgung sein.