Bundesdatenschutzbeauftragter warnt vor europa- rechtswidriger Einführung der Elektronischen Patientenakte (ePA)

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), Professor Ulrich Kelber, hat auf die Folgen einer europarechtswidrigen Verarbeitung personenbezogener Gesundheitsdaten als Folge des Patientendaten-Schutz-Gesetzes (PDSG) hingewiesen. An die Adresse der gesetzlichen Krankenkassen geht der folgende Hinweis: „Meine Behörde wird aufsichtsrechtliche Maßnahmen gegen die gesetzlichen Krankenkassen in meiner Zuständigkeit ergreifen müssen, wenn das PDSG in seiner derzeitigen Fassung umgesetzt werden sollte. Meiner Auffassung nach verstößt eine Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) ausschließlich nach den Vorgaben des PDSG an wichtigen Stellen gegen die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).“

Der BfDI erklärt, er habe in seinen Stellungnahmen während des Gesetzgebungsverfahrens mehrfach darauf hingewiesen, dass Patientinnen und Patienten bei Einführung der ePA die volle Hoheit über ihre Daten besitzen müssen. Hier weise das vom Deutschen Bundestag beschlossene PDSG, das derzeit im Bundesrat beraten werde, Defizite auf: „Gesundheitsdaten offenbaren intimste Informationen über die Bürgerinnen und Bürger.“ Deswegen seien sie in der europaweit geltenden DSGVO auch besonders geschützt. Sollte das PDSG unverändert beschlossen werden, müsse er die seiner Aufsicht unterliegenden 65 gesetzlichen Krankenkassen mit rund 44,5 Millionen Versicherten formell davor warnen, die ePA nur nach den Vorgaben des PDSG umzusetzen, da dies ein europarechtswidriges Verhalten darstellen würde. Außerdem bereite er in diesem Zusammenhang weitere Maßnahmen vor, um einer europarechtswidrigen Umsetzung der ePA abzuhelfen. 

Die Kritik des Bundesdatenschutzbeauftragten: Das PDSG sieht nur für Nutzende von geeigneten Endgeräten wie Mobiltelefonen oder Tablets einen datenschutzrechtlich ausreichenden Zugriff auf ihre eigene ePA vor, nämlich eine dokumentengenaue Kontrolle, welche Beteiligten welche Informationen einsehen können. Und selbst diese Möglichkeit soll es erst ein Jahr nach Einführung der ePA geben. Das bedeutet, dass 2021 keine Steuerung auf Dokumentenebene vorgesehen ist. Die Nutzerinnen und Nutzer werden in Bezug auf die von den Leistungserbringern in der ePA gespeicherten Daten zu einem „Alles oder Nichts“ gezwungen. Jede Person, der die Versicherten Einsicht in diese Daten gewähren, kann alle dort enthaltenen Informationen einsehen. Beispielsweise könnte der behandelnde Zahnarzt alle Befunde des konsultierten Psychiaters sehen.

Dass es die für den Start der ePA am 1. Januar 2021 maßgebenden Spezifikationen den Krankenkassen nicht ermöglichen, ihren Versicherten über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehend einen sogenannten feingranularen Zugriff auf die von den Leistungserbringern gespeicherten Inhalte der ePA zu gewähren, sieht der Bundesbeauftragte mit Unverständnis: Digitalisierung könne niemals Selbstzweck sein. Der Schutz der Versicherten und ihrer Gesundheitsdaten müsse immer im Vordergrund stehen.

Eine weitere „Schwachstelle“ des Gesetzes: Darüber hinaus ist im PDSG für die Menschen, die das so genannte Frontend auf Handy oder Tablet nicht nutzen können oder wollen, keine eigenständige Einsicht in die ePA und auch keine Prüfung von erfolgten Zugriffen auf die Daten geregelt. Ab 2022 soll alternativ für diese Frontend-Nicht-Nutzenden eine vertretende Person die Steuerung und Einsicht vornehmen können, der die Versicherten dann aber volle Kontrolle über ihre Daten einräumen müssten.

Kritik kommt auch von den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen). Die Position des Vorstandes der KV Bayerns (KVB): „Wir sind als Ärzte unseren Patienten verpflichtet. Uns geht es darum, dass unsere Patienten wissen, wer ihre medizinischen Daten einsehen kann und dass sie darüber bestimmen können, wem sie wann und in welchem Umfang Einsicht in diese hochsensiblen Informationen gewähren. Das Vertrauen zwischen Arzt und Patient kann in Zeiten der Digitalisierung einmal mehr nur durch ein Verhältnis auf Augenhöhe, Transparenz und Ehrlichkeit erhalten werden. Wir fordern eine Digitalisierung, die diesem Anspruch gerecht wird. Weiteren Zeitverzug durch heute schon vorhersehbare Klagen können wir nicht akzeptieren – finanzielle Mittel der Versicherten dürfen nicht verschwendet werden.“

„Die gesetzlichen Krankenkassen wollen den digitalen Fortschritt nutzen, um die Versorgung der Versicherten zu verbessern. Dabei muss der digitale Fortschritt mit dem Datenschutz Hand in Hand gehen“, so Dr. Doris Pfeiffer, Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes. Die Forderung der gesetzlichen Krankenkassen: „Die gesetzlichen Krankenkassen brauchen unbedingt Klarheit und Rechtssicherheit, um den Aufbau und die Einführung der elektronischen Patientenakte weiter vorantreiben zu können. Wir appellieren dringend an die Politik, diese Klarheit rasch herzustellen.“