Als Arzt sichtbar werden durch Gespräche mit Patienten

Reden ist Silber – Schweigen ist Gold. Das ist die Devise von vielen Radiologen, wenn es um die Mitteilung von Befunden an Patienten geht. Dies umso mehr, wenn es sich um schwerwiegende Befunde handelt.

Der allzu vollbeladene Arbeitstag eines Radiologen wird durch das Arzt-Patienten-Gespräch unkalkulierbar verlängert. Dazu kommen die Bedürfnisse vieler Zuweiser, die sich vorbehalten wollen, ihren Patienten die Diagnosen persönlich mitzuteilen, und es gar nicht möchten, dass die Radiologen ihre Sicht der Dinge vorab kommunizieren. Ist es also als Radio­loge einerseits effizient, andererseits zuweiseroptimiert und zum Dritten auch noch irgendwie ganz bequem, wenn man sich insbesondere die schwierigen Gespräche gar nicht zur Aufgabe macht?

 

Dr. Josef Kellermann ist Netzradiologe und programmverantwortlicher Arzt im Mammographie-Screening der Region Württemberg-Nord. Seit 13 Jahren führt er wöchentlich viele schwierige Gespräche mit Patientinnen. Intern nennt er seinen dafür vorgesehenen Donnerstagabend „Hi­obs­­sprech­stunde“. Für ihn sind diese Gespräche inzwischen eine Selbstverständlichkeit. Prägende Erlebnisse in der eigenen Biografie, wie erstmals in seiner Zeit als Zi­vil­dienst­leistender und später als junger Mediziner in der Onkologie eines Krankenhauses, führten ihn zur Überzeugung: „Ich will den Leuten lieber sagen, was sie haben, als das nicht zu tun! Offenheit ist für Patienten wohltuend – wichtig ist, dass man als Arzt spürt, wieviel die Patienten wissen wollen.“

 

Dass die Radiologie keine typische sprechende Fachrichtung ist, merkt er auch an den eigenen Kollegen. Nicht jeder führt gerne die schwierigen Gespräche. Dabei kann ich hier doch als Arzt sichtbar werden“, sagt er und ist davon überzeugt, dass sich eine Praxis durch „sprechende Radiologen“ für Patienten wohltuend im Gesundheitsbetrieb hervorhebt. Aber er weiß auch: „Nicht allen fällt das ‚Menscheln‘ leicht. Außerdem muss jeder seinen eigenen Stil finden.“ Denn es geht auch sehr stark um Authentizität in diesen Gesprächen.

 

Und es geht um Gesprächsführung und Struktur. Hier hat sich Dr. Kellermann durch seinen Erfahrungsschatz eine eigene funktionierende Toolbox zum Ablauf eines Gesprächs beispielsweise nach einer Biopsie mit positivem Ergebnis aufgebaut. Zunächst verspricht er bei der Verabschiedung seinen Anruf. Der Anruf mündet in eine telefonische Terminvereinbarung durch eine Mitarbeiterin: „Es ist wichtig, sich auf keinen Fall telefonisch zu äußern und in ein Gespräch verwickeln zu lassen. Schwerwiegende Diagnosen dürfen nur persönlich überbracht werden. Nur dann kann ich die verbalen und auch non-verbalen Reaktionen sehen und direkt richtig darauf eingehen.“ Der Patientin wird freigestellt, eine Person des Vertrauens zum Gespräch mitzubringen. „Es ist frappierend, welche Bruchstücke eines Gesprächs bei der Patientin hängen bleiben und was zwar von mir gesagt, aber in dieser Ausnahmesituation total überhört wird“, sagt Kellermann. „Dabei kann eine Begleitperson, die ein kleines bisschen mehr Distanz hat als die Betroffene selbst, im Nachgang Lücken füllen und zu einem gesamtheitlichen Blick beitragen. Diese hat einfach eine andere Empfängerleistung in diesem Moment.“ Beim Termin selbst liest er zunächst den histologischen Befund vor und erklärt dann in verständlichem Deutsch, was darunter zu verstehen ist. „Wichtig ist auch der nächste Schritt, nämlich gleich Wege zu zeigen, wie es weitergeht.“ Hier ist für ihn zentral, dass er Konsequenzen verschiedener Alternativen aufzeigt. Gerne bittet er die Gesprächsteilnehmer mitzuschreiben, um sich die nächsten Schritte besser merken zu können. „Die Patientinnen müssen wissen, worauf sie sich einlassen.“ Er ist sicher, dass er seine Patientinnen durch die Informationen, die er gibt, vorbereitet und stärkt für das, was vor ihnen liegt. Gerade damit hat er sich in der Vergangenheit aber auch schon bei therapieführenden Ärzten unbeliebt gemacht. Doch das nimmt er in Kauf.

 

Dr. Josef Kellermann, Radiologie Franken-Hohenlohe

Ein gutes Gespräch ist für Dr. Kellermann immer ein kleiner Erfolg, und die vielen positiven Rückmeldungen von Patientinnen und Patienten geben ihm Recht. „Eine Patientin sagte mir einmal, dass der Satz von mir ‚Das schaffen wir zusammen!‘ ihr viel Kraft gegeben hätte, die Krebsbehandlung gut durchzustehen.“ Er selbst konnte sich an den Satz schon gar nicht mehr erinnern. Kellermann ist überzeugt, dass man als Radiologe bezüglich Gesprächsführung mit Patienten viel lernen kann, und verweist auf gute Literatur von Praktikern verschiedener Fachrichtungen (Ärzte, Psychologen, Theologen, Kriminalbeamte, Buchtipps siehe Seite 10) und das bewährte SPIKES-Modell (siehe Seite 11). „Am wichtigsten ist es, offen und empathisch zu sein für das Gegenüber. Das ist die Basis für ein vertrauensvolles Gespräch. Dabei bestimmt immer der Patient, wieviel er wissen will, und hat auch das Recht, nicht wissen zu wollen“, fasst er seine eigene Vorgehensweise zusammen.

 

Ein wenig ernüchtert ist er von der geringen Bereitschaft innerhalb der Ärz­te­schaft, sich mit dem Thema aus­ein­an­der­zusetzen. Auf dem Se­no­lo­gen-­Kongress hätten 30 von 2.600 Teilnehmern einen Workshop zur Gesprächsführung besucht, das entspreche gerade mal rund einem Prozent. Dennoch gibt er die Hoffnung nicht auf und sieht vor allem auch die Vorteile für eine radiologische Praxis, sich in Zeiten von immer größeren Instituten mit immer mehr High-Tech bei (potenziellen) Patienten positiv zu positionieren. „Durch ein gutes Gespräch wird der Radiologe sichtbar und die radiologische Praxis ist nicht mehr so leicht austauschbar.“ Davon ist Dr. Kellermann überzeugt.

 

Die Situation eines programmverantwortlichen Radiologen im Screening ist natürlich nicht typisch für jede radiologische Praxis. Nichtsdestotrotz gibt es Gesprächsbedarf vieler Patien­tinnen und Patienten auch mit anderen Fragestellungen. Jeder Radiologe bzw. jede Praxis sollte eine Antwort darauf haben, welchen Stellenwert das Arzt-­Patienten-Gespräch in der jeweiligen Praxis haben soll, und sich dann entsprechend dafür rüsten: in der Terminorganisation, im Ausbau der Fertigkeiten der „sprechenden“ Ärzte und in der Nutzung des Themas für das eigene Praxismarketing.

 

Ihre Ansprechpartnerin:

Eva Jugel

ejucuragita.com

 


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